MoR 05 - Rubikon
achtzigtausend hungrige Krieger, aber unsere Vorräte würden länger reichen.« In seinen von den geweiteten Pupillen fast schwarzen Augen glänzten Tränen »Und wenn die Entsatzarmee nicht hier ist, bevor uns die Vorräte ausgehen, dann eßt zuerst mich!«
Die anderen folgten seinem Vorschlag. Während die letzten Rinder und Schafe von den Weiden am östlichen Ende von Alesia ins Innere der Stadt getrieben wurden, scheuchte man Frauen, Kinder und Alte nach draußen. Unter ihnen befanden sich auch Daderax’ Frau, sein Vater und seine bejahrte Tante.
Bis Einbruch der Dunkelheit kauerten die Ausgestoßenen noch vor den Mauern, flehten um Gnade und riefen weinend nach den Angehörigen, die als Krieger im Innern der Stadt geblieben waren. Als der nächste Morgen graute, saßen sie noch immer dort, doch niemand antwortete ihnen, und niemand kam zu ihnen heraus. Um die Mittagszeit begannen sie langsam den Berg hinunterzusteigen. Am Rand des großen Grabens blieben sie stehen und streckten die Arme zum römischen Wall aus, der mit Hunderten von Legionären bemannt war. Doch auch hier antwortete ihnen niemand. Niemand kam über den laubbedeckten Boden, um sie einzulassen, niemand warf ihnen etwas zu essen zu. Die Römer schauten nur herüber, bis der Anblick sie langweilte, dann wandten sie sich ab und gingen wieder ihren Aufgaben nach.
Am späten Nachmittag halfen sich die ausgestoßenen Mandubier wieder gegenseitig den Berg hinauf und drängten sich an die Mauer, wo sie weinten und die Namen jener schrien, die sie kannten und liebten und die sich im Innern befanden. Aber niemand antwortete. Niemand kam. Die Tore blieben geschlossen.
»Oh Dann, Mutter der Erde, rette meine Volk!« stammelte Daderax in seiner dunklen Kammer. »Sulis, Nuadu, Bodb und Macha, rettet mein Volk! Laßt die Entsatzarmee morgen kommen! Geht zu Esus und legt ein gutes Wort für uns ein, ich flehe euch an! Oh Dann, Mutter der Erde, rette mein Volk! Sulis, Nuadu, Bodb und Macha, rettet mein Volk...« Unaufhörlich betete er so, in einer endlosen Litanei.
Daderax’ Gebete wurden erhört. Am folgenden Tag kam das Heer der Gallier. Es kam von Südwesten und besetzte die dortigen Höhen. Der Wald verbarg die Männer zum Teil und nahm dem Anblick seinen Schrecken, aber am Mittag des folgenden Tages wimmelte es auf der drei Meilen langen Niederung zwischen den beiden Flüssen nur so von Reitern — ein Schauspiel, das keiner der Wachposten auf den römischen Türmen jemals vergessen würde. Es war ein Meer von Reitern, Tausende und Abertausende, ohne daß jemand auch nur annähernd ihre Zahl hätte schätzen können.
»Es sind so viele, daß sie manövrierunfähig sind«, stellte Caesar auf seinem Aussichtspunkt westlich unterhalb des südlichen Berggipfels fest. »Wieso begreifen sie eigentlich nicht, daß mehr nicht unbedingt besser bedeutet? Wenn sie nur ein Achtel der Männer dort unten aufstellen würden, könnten sie uns besiegen. Sie wären uns zahlenmäßig immer noch deutlich überlegen und hätten den nötigen Spielraum für Manöver. Aber so ist ihre Überlegenheit nichts wert.«
»Unsere Soldaten dort unten haben noch keinen richtigen Oberbefehlshaber«, gab Labienus zu bedenken. »Nur einige Abteilungen haben Anführer.«
Der römische Befehlsstab hatte sich versammelt, die Legaten, die wie Trebonius noch nicht für einen Teil des Mauerrings eingeteilt worden waren, und dreißig Militärtribunen auf germanischen Pferden, bereit, mit entsprechenden Befehlen zu diesem oder jenem Abschnitt zu reiten.
»Das ist dein Tag, Labienus«, sagte Caesar. »Oder mache ihn zu deinem. Ich gebe dir keine Befehle. Gib deine eigenen aus.«
»Dann setze ich die viertausend Reiter der drei Lager in der Ebene ein«, sagte Labienus mit grimmiger Miene. »Das Lager im Norden halte ich in Reserve. Die Männer müssen quer zur Ebene kämpfen, und viertausend sind dafür mehr als genug, sonst reiten mir die vordersten Reihen beim Zurückweichen nur die eigene Nachhut nieder.«
Die vier Reiterlager lagen, anders als die Lager der Legionäre, außerhalb des großen Mauerrings. Sie waren stark befestigt, aber das vor ihnen liegende Gelände war nicht mit Stachelstöcken, »Lilien« und »Grabsteinen« vermint. Caesar und seine Legaten beobachteten, wie die zur Ebene führenden Tore der drei Lager aufflogen und die römischen Reiter hinausritten.
»Da kommt Vercingetorix«, sagte Trebonius.
Caesar sah zum Stadttor am westlichen Ende der Südmauer der
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