MoR 05 - Rubikon
List herein und zogen sich zurück, um über die neue Bedrohung zu beratschlagen. Dadurch gewannen die Römer Zeit zum Löschen der Brände.
Der zehnstöckige Belagerungsturm wuchs erneut in die Höhe, allerdings sollte er nie benutzt werden. Die unterirdischen Gänge waren unaufhaltsam vorwärtsgetrieben worden, und ein Quellzufluß nach dem anderen wurde umgeleitet. Etwa zur gleichen Zeit, als der Turm mit Artilleristen hätte bemannt und in Betrieb genommen werden können, versiegte zum ersten Mal seit Menschengedenken die Quelle, die Uxellodunum mit Wasser versorgte.
Die Nachricht schlug ein wie ein Blitz aus heiterem Himmel und traf den Lebensnerv der Verteidiger ins Mark. Zu klar war die Botschaft: Die Tuatha beugten sich der Macht Roms und ließen die Gallier zugunsten Caesars im Stich. Aber wozu sollte man weiterkämpfen, wenn selbst die Tuatha Caesar und den Römern wohlgesinnt waren?
Uxellodunum kapitulierte.
Am nächsten Morgen ließ Caesar sämtliche Legaten, Präfekten, Militärtribunen und Zenturionen in die Versammlungshalle der gallischen Festung kommen, darunter auch Aulus Hirtius. Er war mit den beiden Legionen gekommen, die Quintus Fufius Calenus nach Uxellodunum geführt hatte.
»Ich werde es kurz machen«, begann Caesar. Er saß in voller Rüstung auf seinem Amtsstuhl, den Elfenbeinstab seines Imperiums an den rechten Unterarm gelegt. Vielleicht lag es am Licht, das durch die geöffneten Läden des großen Fensters im Rücken der fünfhundert Männer auf Caesars Gesicht fiel, daß seine Erschöpfung so offen zutage trat. Obwohl noch keine fünfzig, hatten sich bereits tiefe Faltenringe in seinen langen Hals gegraben, auch wenn noch keine schlaffen Hautsäcke den ebenmäßigen Unterkiefer entstellten. Seine Stirn war von Falten durchzogen, Falten gingen fächerförmig von seinen Augenwinkeln aus, und zu beiden Seiten der Nase hatten sich tiefe Furchen in die Wangen gegraben, die die markanten Backenknochen betonten. Auf Feldzügen verschwendete Caesar keinen Gedanken an sein schütter werdendes Haar, heute aber hatte er die corona civica , den Eichenkranz, aufgesetzt, denn er wollte höchste Würde ausstrahlen. Wenn er mit der corona civica irgendwo eintrat, mußten alle aufstehen und ihm applaudieren — sogar Bibulus und Cato. Caesar verdankte es dieser Auszeichnung, daß er im Alter von zwanzig Jahren in den Senat hatte eintreten können; dank ihr wußte jeder Legionär, der unter ihm diente, daß sein Feldherr mit Schwert und Schild in der vordersten Reihe gekämpft hatte, auch wenn die Männer seiner gallischen Legionen dieser Erinnerung nicht bedurften, da sie es oft genug selbst erlebt hatten.
Caesar sah zutiefst müde aus, doch die Anwesenden wußten, daß es nicht körperliche Müdigkeit war; seine körperliche Verfassung war ausgezeichnet, er verfügte über Bärenkräfte. Nein, Caesar litt unter seelischer Erschöpfung, wie sie zu ihrem Erstaunen erkennen mußten.
»Es ist Ende September und Sommer«, sagte er in knappem, abgehacktem Tonfall, der dem Rhythmus seiner in gewähltem Latein gesprochenen Worte jede poetische Färbung nahm. »Noch vor zwei oder drei Jahren hätten alle gesagt, der Krieg in Gallien wäre jetzt endlich vorbei. Aber die, die heute hier sind, wissen es besser. Wann werden die Völker von Gallia Comata ihre Niederlage endlich zugeben? Wann werden sie sich der sanft lenkenden Hand Roms beugen und einsehen, daß sie heute sicher und behütet sind wie nie zuvor? Gallien ist ein Stier, dem man die Augen ausgestochen hat, dessen Wut aber geblieben ist. Immer wieder stürmt er blind gegen Mauern, Felsen und Bäume an und richtet dabei nur sich selbst zugrunde. Er wird zwar ständig schwächer, aber keineswegs ruhiger. Bis er sich schließlich selbst zerschmettert hat und stirbt.«
Im Saal herrschte Totenstille; niemand regte sich, nicht einmal ein Räuspern war zu hören. Worauf wollte Caesar hinaus?
»Wie können wir diesen Stier besänftigen? Wie können wir ihn dazu bringen stillzuhalten, damit wir Salbe auf seine Wunden streichen und sie heilen können?«
Caesars Stimme änderte sich, wurde dunkler. »Ihr alle kennt die großen Schwierigkeiten, denen ich mich in Rom gegenübersehe. Der Senat will mich vernichten, aus dem Weg schaffen... meinen Ruf zerstören, meine dignitas , die auch eure dignitas ist, weil ihr meine Leute seid, das Rückgrat meiner tapferen Armee. Wenn ich stürze, stürzt auch ihr, wenn ich entehrt werde, seid auch ihr entehrt. Wir
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