MoR 05 - Rubikon
hinterlassen, daß ihr ein Blinder folgen könnte. Mit dem Ergebnis, daß er wegen Wucher angeklagt wurde. Und du, Brutus, warst sein Komplize. Glaubst du, man wüßte in Rom nichts von deinen Gaunereien?« Sie verzog die Lippen zu einem freudlosen Lächeln und entblößte dabei eine Reihe kleiner, weißer Zähne. »Appius Claudius drohte einfach einer Stadt mit Einquartierung seiner Armee, und dann kamst du, gabst zu verstehen, daß sich dieses Schicksal durch eine kleine Spende in Höhe von hundert Talenten an den Statthalter abwenden ließe, woraufhin die Firma von Matinius und Scaptius sich erbot, der Stadt das Geld zu leihen. Appius Claudius strich das Geld ein, und du konntest es durch den Leihzins sogar noch vermehren.«
»Appius Claudius wird freigesprochen werden, Mama.«
»Zweifellos, mein Sohn. Aber deiner politischen Laufbahn nützen solche Gerüchte nicht. Das sagt jedenfalls Pontius Aquila.«
Brutus’ unglückliches Gesicht verzerrte sich noch mehr, und die schwarzen Augen begannen gefährlich zu funkeln. »Pontius Aquila!« schnaubte er verächtlich. »Mit Caesar konnte ich mich ja noch abfinden, Mama, aber ein ehrgeiziger Niemand wie Pontius Aquila! Das ist unter deiner Würde!«
»Wie kannst du es wagen!« rief Servilia. Sie sprang auf und trat drohend vor ihn.
»Ja, Mama, ich habe Angst vor dir«, sagte Brutus leise, »aber ich bin kein zwanzigjähriger Junge mehr, und bei bestimmten Dingen habe ich ein Mitspracherecht, bei Dingen etwa, die der Familienehre schaden. Wie zum Beispiel Pontius Aquila.«
Servilia machte kehrt und ging aus dem Zimmer, wobei sie die Tür betont leise hinter sich schloß. Zitternd und mit geballten Fäusten stand sie in der den Garten säumenden Kolonnade. Wie konnte er es wagen! Hatte er denn nie nachts vor brennender Leidenschaft wach gelegen, lautlos geweint, verzehrt von Lust, Einsamkeit und Verlangen? Nein, Brutus nicht. Er war ohne Leidenschaft, impotent. Glaubte er vielleicht, sie wüßte das nicht, wo doch seine Frau unter ihrem Dach lebte? Eine Frau, mit der er nie geschlafen hatte, er hatte nicht einmal neben ihr gelegen. Er hatte auch keine Geliebte. Woraus immer ihr Sohn gemacht war — Feuer, Donner, Vulkan und Erdbeben gehörten jedenfalls nicht dazu.
Wie viele Jahre waren vergangen, seit Caesar nach Gallien aufgebrochen war, Jahre, in denen sie einsam und zähneknirschend im Bett gelegen und mit den Fäusten aufs Kissen getrommelt hatte. Ach, wie sie ihn liebte, ihn begehrte, ihn brauchte! Schwach vor Liebe, naß vor Begehren, schmachtend vor Verlangen. Ihr leidenschaftliches Ringen, ihr geistiges und körperliches Kräftemessen, ihre Machtkämpfe. Und die köstliche Befriedigung, bezwungen zu werden, von einem Mann niedergeworfen, beherrscht, bestraft und zur Sklavin gemacht zu werden. Was konnte eine Frau, die sich ihrer Fähigkeiten bewußt war, mehr verlangen als einen solchen Mann? Der ihr überlegen war und zugleich an sie gefesselt nur deshalb, weil sie eine Frau war? Ach Caesar, Caesar...
»Du siehst wütend aus.«
Sie fuhr herum und sah ihn, Lucius Pontius Aquila, ihren Geliebten. Mit seinen dreißig Jahren jünger als ihr Sohn und gerade als Stadtquästor in den Senat aufgenommen. Er stammte nicht aus einer alten Familie, war von weit geringerer Herkunft als sie. Doch das war egal, wenn sie ihn sah wie jetzt. Wie schön er war! Hochgewachsen, ebenmäßige Gestalt, kurze, kastanienbraune Locken, tiefgrüne Augen, ein edles, markantes Gesicht und ein energischer, aber sinnlicher Mund. Und das Beste an ihm war, daß er sie nicht an Caesar erinnerte.
»Meine Gedanken machten mich wütend«, sagte sie und ging ihm voraus zu ihren Zimmern.
»Wütend aus Liebe oder aus Haß?«
»Aus Haß. Haß, Haß, Haß!«
»Dann kannst du nicht an mich gedacht haben.«
»Nein. Ich habe an meinen Sohn gedacht.«
»Wodurch hat er dich so erzürnt?«
»Er behauptet, du seist unter meiner Würde.«
Pontius Aquila schloß die Tür, zog die Fensterläden zu und drehte sich dann mit einem Lächeln zu ihr um, bei dem ihr die Knie weich wurden. »Brutus kommt aus einer alten Familie«, sagte er ruhig. »Ich verstehe seine Mißbilligung.«
»Er hat keine Ahnung«, sagte Servilia, nahm ihm die weiße Toga ab und hängte sie über einen Stuhl. »Gib mir deinen Fuß.« Sie schnürte den Senatorenschuh aus kastanienbraunem Leder auf. »Jetzt den anderen.« Auch der andere Schuh wurde ausgezogen. »Die Arme hoch.« Sie zog ihm die weiße Tunika mit dem breiten
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