Morag und der magische Kristall
zu.
»Er hat gerade die Runensteine in den Sand geworfen«, flüsterte der Ratterich bedächtig zurück, als beschriebe er etwas, das Morag nicht bereits wusste.
»Das sehe ich selbst«, flüsterte sie ein wenig verschnupft. »Aber warum ?«
»Keine Ahnung«, erwiderte die Ratte. »Ich habe mit Magie nichts am Hut.«
»Klar«, sagte Morag. Diese Ratte konnte einen bisweilen auf die Palme bringen. Sie beschloss, keine weiteren Fragen zu stellen, und sah einfach nur zu. Bertie hielt eine Flügelspitze an seinen Schnabel, während er die Steine studierte, die kunterbunt verstreut auf dem Sand unter seinen Krallen lagen. Eine tiefe Falte trat auf seine Stirn und er sagte ziemlich oft »Hmmmmmm«.
»Ich verstehe«, murmelte er nach einem Weilchen. »Es hat sich alles richtig gefügt. Ich weiß, was zu tun ist.«
»Was? Was sagen sie?«, fragte Morag lebhaft. Sie hatte noch nie zuvor jemanden Runensteine benutzen sehen und war dementsprechend aufgeregt. »Kann ich helfen? Kann ich irgendetwas tun?«
Bertie bedachte sie mit einem Blick, als hätte jemand etwas Abscheuliches getan und einen üblen Geruch produziert. Dann schüttelte er den Kopf.
»Danke, aber nein danke«, erwiderte er hochmütig. »Einzig jene, die sich mit Magie auskennen, können dies tun. Und nun darf ich dich und Aldiss bitten, den Hügel hinunterzugehen und dort zu bleiben, während ich versuche, Shona ins Leben zurückzurufen. Es könnte gefährlich werden.«
In ihrer Enttäuschung sagte Morag nichts mehr und folgte Aldiss ein kleines Stück den Hügel hinunter. Der Rattenmann fand ein bequemes Grasbüschel zum Sitzen und bot ihr einen Platz neben sich an. Sie ließ sich nieder und beobachtete, wie Bertie im Licht des Mondsteins den Zauber vorbereitete. Er sammelte die Runen ein und legte sie sehr vorsichtig in regelmäßigen Abständen längs des Rückens der Drachin in den Sand. Dann ging er zu Shonas Nasenspitze und machte eine sehr tiefe Verbeugung. Abermals schloss er die Augen, bevor er einen Singsang in einer Sprache anstimmte, die Morag fremd war.
»Orimar animar ento larn«, sang er. »Metreon activer neo garf!« Oder zumindest klangen die Worte für Morag so. Er sang weiter, und während er das tat, geschah etwas Eigenartiges. Der Wind, der durch die Gräser um sie herum gefahren war, verebbte plötzlich, und bis auf Berties Singsang war kein Geräusch mehr zu hören.
Erschrocken über die plötzliche Stille, sah Morag sich um. Sie konnte noch immer die Wellen ausmachen, die unter ihnen ans Ufer plätscherten, aber sie konnte sie nicht mehr so deutlich wie zuvor hören. Sie konnte den Wind sehen, der auf den nahen Dünen durch die Gräser strich, aber dort, wo sie war, wehte kein Wind. Sie wusste , dass sie am Strand war, aber sie konnte das Salz in der Luft nicht mehr riechen oder den körnigen Sand im Mund schmecken. Es war, als steckten sie alle in einer unsichtbaren Blase von Magie fest.
Plötzlich leuchtete der Körper des Drachen in einem hellen, lebhaften Grün auf und weiße Funken stoben aus seinem Kopf und seinem Schwanz. Morag sah fasziniert zu, wie die Funken mit einem sirrenden Geräusch größer wurden und die Farbe wechselten, von Weiß zu Grün, von Rot zu Purpur, von Blau zu Gelb und dann zu Orange . Und Bertie sang noch immer.
Schließlich geschah etwas Wunderbares: Der Körper des Drachen begann, sich zu verändern, und aus rotem Stein wurde Fleisch. Verschwunden waren die rauen roten Steine, an ihre Stelle traten glatte, leuchtend grüne Schuppen. Morag sah die schwarzen Klauen an Shonas Füßen wachsen, dann wurde die gepanzerte Spitze ihres Schwanzes sichtbar. Sekunden später konnte sie die Ohren, die Augen, den Kiefer und die Zähne erkennen. Berties Stimme wurde lauter und schwoll dann zu einem Schrei an.
»Becknar Dort!«, rief er. »Shona! Großer Drache von Murst! Ich befehle dir, die Augen zu öffnen!«
Morag hielt den Atem an und hörte Aldiss aufkeuchen.
Nichts geschah.
Bertie versuchte es noch einmal.
»Shona! Großer Drache von Murst! Ich befehle dir …!«
»Schon gut, schon gut, ich habe dich auch beim ersten Mal gehört!«, erklang eine tiefe, grummelnde Stimme. »Obwohl ich finde, du hättest höflicher darum bitten können.« Die Drachin öffnete ihre verblüffend gelben Augen und blickte auf den Dodo hinab. »Oh!«, sagte sie. »Ich dachte, es wäre vielleicht ein stattlicherer Zauberer gewesen, der mich endlich befreit hat.«
»Albert Alonzo Fluke, zu Ihren Diensten, Madam«,
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