Morag und der magische Kristall
einer brennenden Fackel erhellt wurde, und Morag bekam es ein wenig mit der Angst zu tun.
Auf die erste steile Treppe folgte eine weitere, und als sie oben ankamen, schnauften und keuchten sie alle. Bertie lehnte sich mit der Schulter an die Wand und drückte. Eine Tür öffnete sich. In der Flut von Licht musste Morag die Augen zusammenkneifen und sich die Hände vors Gesicht halten.
Sobald ihre Augen sich wieder an die Helligkeit gewöhnt hatten, sah Morag, dass sie sich im Eingang einer riesigen, hell erleuchteten Höhle befanden, in der emsiges Treiben herrschte. Vor ihnen befanden sich sieben Bahnsteige. Kleine, geflügelte Geschöpfe beschrieben eine große Tafel direkt unter dem Höhlendach ständig wieder neu, um die Fahrgäste über die Ziele und Abfahrtzeiten der nächsten Züge auf dem Laufenden zu halten. Es gab Läden, die so ziemlich alles verkauften, angefangen von Vogelnestern und Stärkungsmitteln bis hin zu Feenimbissen und Amuletten. Als sie an einer grün-goldenen Bude vorbeigingen, rief ihnen ein kleiner, hässlicher Mann zu: »Magische Haustiere aus zweiter Hand, beste Qualität! Alle voll ausgebildete Dienstboten!« Auf seinem Verkaufsstand bot er in Weidenholzkäfigen verschiedener Größen einige, wenig erfreut wirkende schwarze Katzen, Eulen, Kröten und eine einzelne fette, behaarte Spinne feil.
Morag sah sich voller Staunen um. Es war nicht nur dieser wundersame Ort selbst, der sie überraschte, sondern auch die Vielzahl fremdartiger Wesen, die im Bahnhof umherschlenderten. Hexen und Zauberer blickten zu der Tafel mit den Abfahrtzeiten und suchten nach ihren Zügen. Alle möglichen Tiere, die Umhänge, Hüte und Stiefel trugen, plauderten freundschaftlich miteinander oder tranken aus Styroporbechern Kaffee oder Tee. Auf einem Bahnsteig bemerkte Morag eine weiße Einhorndame in einem Cocktailkleid; sie trug Diamantohrringe und hatte jemanden, der ihr bei ihren Koffern half.
»Wow«, stieß Morag hervor, als drei Greife in weißen Shorts und roten Kapuzenshirts vorbeiliefen. Sie trugen ein Spruchband mit der Aufschrift: Die Bahnhofsmission hilft dem Seniorenheim für magische Wesen von Marnoch Mor. »Dieser Ort ist einfach erstaunlich.«
»Ja, nicht wahr?«, pflichtete Bertie ihr bei, dem die Greife nicht aufgefallen waren. »Er besteht schon seit 200 Jahren. Wunderschöne Architektur. Schau dir nur die Decke an!«
Morag blickte auf und sah eine gewölbte Marmordecke, die mit wunderschönen Szenen aus der – wie Bertie ihr erklärte – Mythologie von Marnoch Mor bemalt war. Der Dodo hatte gerade begonnen, ihr mehr über die Bilder zu erzählen, als er von einer Lautsprecherankündigung unterbrochen wurde.
»Der nächste Zug nach Oban fährt von Bahnsteig sieben. Haltestellen sind Alte Kirche Arrochar, Briefkästen Tyndrum, die Fälle von Cruachen, Stellwerk Taynuilt und McCaigs Turm, Oban«, sagte der Sprecher.
»Gefleckte Hennen!«, rief der Dodo aufgeregt. »Ich war so mit meinen Erklärungen beschäftigt, dass ich beinahe vergessen hätte, dass wir unseren Zug erwischen müssen. Kommt weiter, wir müssen uns beeilen oder wir werden ihn verpassen.«
»Noch eine U-Bahn?« Morag, der die letzte Fahrt durchaus Spaß gemacht hatte, lächelte.
»Nein, nein«, antwortete der Dodo und lief auf Bahnsteig sieben zu. »Diesmal fahren wir mit einem Über-Untergrundzug. Das ist etwas ganz anderes. Er fährt auch unter der Erde, aber nicht so tief, und manchmal taucht er auf, um Luft zu holen. Kommt, kommt, folgt mir, sonst verpassen wir ihn noch.«
Das Mädchen, der Dodo, die Ratte und der Drache liefen durch den belebten Bahnhof, wichen Mitreisenden und einem Mann aus, der an einem Stand etwas verkaufte, das »Wot Dogs« hieß. In letzter Sekunde stiegen sie in den Über-Untergrundzug, und bevor sie auch nur Platz nehmen konnten, schlossen die Türen sich mit einem entschiedenen Zischen, und der Zug rollte aus dem Bahnhof.
Schwitzend und keuchend erreichten die vier ein kleines Abteil, vor dessen Fenster ein Vorhang zugezogen war. Eingerichtet war es mit hochlehnigen, verzierten und mit dunkelblauem Samt bezogenen Sitzen. Morag schaltete die Lampe auf dem kleinen Tisch unter dem Fenster ein und sah sich mit Aldiss um, während die beiden anderen es sich bereits bequem machten. Mit einer Klaue zog Shona den Vorhang zurück und blickte hinaus. »Wie lange dauert die Reise?«, fragte sie.
»Gut zwei oder drei Stunden«, informierte Bertie sie.
»Ich glaube nicht, dass ich noch viel
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