Morag und der magische Kristall
mitten im Nichts befanden, denn überall um sie herum erhoben sich hohe, schmale Steinbögen eines unvollendeten, dachlos gebliebenen Mauerrings. Morag, die schon Bilder von diesem Ort gesehen hatte, wusste, dass sie sich mitten in Obans denkwürdigster Sehenswürdigkeit befanden: in McCaigs Turm. Es gab nur einen einzigen Unterschied: Auf den Bildern, die sie in Büchern gesehen hatte, hatte es keinen kleinen Bahnhof mit Eisenbahnschienen gegeben, und sie fragte sich kurz, wie es dem magischen Volk gelungen war, ihn so gut verborgen zu halten.
Etwas stupste gegen ihre Füße, und als sie hinabblickte, sah sie ein Flugblatt, das auf den Bahnsteig geweht war. Sie hob es auf und unterzog es im schummrigen Licht des Bahnhofs einer eingehenden Musterung. Dann rang sie nach Luft – auf dem Zettel war ein Bild von ihr selbst!
»Verschwunden: die zehnjährige Morag aus der Pension Stokers Seeblick, Irvine. Klein für ihr Alter. Geben Sie acht, wenn Sie sich ihr nähern – sie neigt zu Gewalttätigkeit. Wenn Sie sie sehen, rufen Sie Jermy und Moira Stoker auf dem Polizeirevier von Irvine an.«
Hastig knüllte Morag das Papier zusammen und stopfte es in ihre Tasche. Die anderen schauten sie an.
»Ist alles in Ordnung, Morag?«, fragte Bertie.
»Ja, bestens, danke«, antwortete sie hastig.
Es war immer noch pechschwarz und sie konnten jenseits der Lichter des Bahnhofs nur sehr wenig erkennen, lediglich die hohen Mauern des Turms und die winzigen, funkelnden Lichter der Küstenstadt unter ihnen. Außerdem war es noch immer sehr kalt und der Wind frischte wieder auf. Morag schauderte und zog ihren Hausmantel fester um sich. Auch Shona spürte die Kälte. Ihr Schwanz zitterte und ihre großen, scharfen Zähne klapperten in der kalten Herbstnacht.
»W-w-w-woh-h-hin j-j-j-jetzt?«, fragte sie Bertie. »Und k-k-können w-w-wir irgendw-w-wo, w-w-wo es w-w-warm ist, eine T-T-T-Tasse S-S-S-Suppe h-h-haben oder s-s-so? Ich f-f-friere!«
Bertie betrachtete seine Freunde, die zitternd vor ihm standen, und nickte.
»Einverstanden. Ich kenne ein prächtiges kleines Lokal nicht weit von hier«, sagte er.
Sein Magen knurrte laut und er zuckte vor Verlegenheit zusammen. Ohne auf die fordernden Geräusche zu achten, schob er einen Flügel in seinen Tornister und zog eine große, tickende Uhr hervor. Die Ziffern leuchteten grün und zeigten, dass es fast zwei Uhr morgens war.
Er seufzte. »Ich hoffe, sie haben noch geöffnet. Wenn nicht, werden wir uns mit dem begnügen müssen, was der Tornister hergibt, was immer das sein mag«, fügte er hinzu und tätschelte voller Zuneigung seine Tasche.
»Können wir das nicht gleich jetzt tun?«, fragte Aldiss. »Ich habe auch furchtbaren Hunger!«
»Wir könnten, aber wäre es nicht besser, etwas Warmes in einem schönen, behaglichen Restaurant zu essen?«, bemerkte Bertie. »Und wir könnten dort vielleicht auch ein Bett für den Rest der Nacht finden.«
»Oh, das klingt wunderbar«, sagte Morag träumerisch und wünschte, sie wäre bereits im Bett.
»Also schön«, erwiderte Bertie. »Dann wäre das also geregelt. Folgt mir.«
Eleanors exzellentes Esslokal lag nur ein kleines Stück zu Fuß hügelabwärts vom Bahnhof und wie dieser oberhalb der Stadt. Morag fragte sich, warum sie es nicht von den Bahngleisen aus bemerkt hatte, beschloss aber, das auf sich beruhen zu lassen. Sie vermutete zu Recht, dass das Café durch irgendeine Art von Magie geschützt wurde , die es für Menschen schwer machte, es zu sehen oder zu finden.
Da es im Wesentlichen aus Glas bestand, sah das Restaurant aus wie ein überwucherter Wintergarten. In den Fenstern verströmten Laternen mit Kerzen ein fröhliches Licht, und als Morag durch die Ritzen in den schweren roten Vorhängen hineinspähte, sah sie drei oder vier Gäste , die sich über große Schalen Suppe und dampfende Teller mit Fleisch und Soße hermachten.
Jetzt war es ihr Magen, der knurrte. Sie leckte sich in freudiger Erwartung die Lippen und folgte Bertie und den anderen hinein.
Es war wie im Himmel, es sich in einem warmen, behaglichen Lokal wie dem von Eleanor bequem machen zu können. Müde und erschöpft, wie sie war, freute Morag sich auf eine riesige Schale heißer Suppe und eine Scheibe warmes, knuspriges Brot dazu, von dem geschmolzene Butter tropfte.
Bertie führte sie zu einem Tisch in der Nähe des großen Holzfeuers im hinteren Teil des Raums. Sobald sie sich niedergelassen hatten, warfen sie einen Blick auf die
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