Morag und der magische Kristall
Speisekarte.
Morag mochte ihren Augen kaum trauen, als sie die Vielzahl verlockender Gerichte darauf entdeckte, und plötzlich erschien ihr diese große Schale Suppe nicht mehr gar so reizvoll. All ihre Lieblingsspeisen waren auf der Karte verzeichnet, und sie musste sich sehr anstrengen, um sich zwischen Käsemakkaroni, Fischpastete mit Gemüse der Saison oder Hackfleisch, Kartoffelpüree und gebackenen Bohnen zu entscheiden. Am Ende nahm sie die Makkaroni und war nicht enttäuscht über ihre Wahl, als die Kellnerin, eine kleine, alte Dame mit schlurfendem Gang, ihr einen riesigen Teller mit Nudeln und einer reichlichen Portion Dreikäsesoße brachte. Hungrig machte sich Morag über ihre Mahlzeit her.
»Also«, sagte die alte Dame, als sie den letzten Teller vor ihre neuen Gäste gestellt hatte und jedem von ihnen einen Becher heiße Schokolade auf Kosten des Hauses gereicht hatte. »Wollt ihr ein Bett für die Nacht?«
Sie sprach mit eigenartig lispelndem Akzent und wirkte etwas nervös. Morag musterte sie neugierig. Diese Frau hatte etwas an sich, das sie beunruhigte, aber sie wusste nicht, warum.
Die kleine, alte Dame sah aus wie viele kleine, alte Damen, die sie gesehen hatte: weißes, von einer Dauerwelle zu dichten Locken gezwungenes Haar, kein Make-up und eine übergroße Brille, die ihr an einer Kette um den Hals hing. Sie trug einen grauen Wollrock, ein fein gestricktes Top und eine dazu passende Strickjacke. An den Füßen hatte sie formlose Oma-Schuhe. Sie wirkte harmlos, aber aus irgendeinem Grund traute Morag ihr nicht.
Und dann war da der Mann in der Ecke. Er trug einen feinen purpurnen Umhang und blickte immer wieder zu ihnen hinüber. Er saß gebeugt über einer Schale mit etwas, das aussah wie Haferbrei. Da er seine Kapuze nicht abgesetzt hatte, waren seine grüblerischen Augen alles, was Morag im Feuerlicht glitzern sehen konnte. Sie versuchte, ihn nicht anzuschauen, versuchte, seinen Blick nicht zu erwidern, aber wann immer sie aufsah, stellte sie fest, dass er sie direkt anschaute.
»Ja, wir hätten sehr gern ein Bett«, beantwortete Bertie die Frage der alten Dame. Dann löffelte er etwas Müsli in seinen Schnabel.
»Wie viele Zimmer braucht ihr denn? Wollt ihr vier, oder wollt ihr euch eins teilen?«, fragte sie ihn. »Ich habe ein sehr hübsches Zimmer unterm Dach, das für euch drei gut geeignet wäre, und ein weiteres für die junge Dame hier.«
»Das wäre schön«, befand Bertie, den Schnabel noch immer voller Rosinen. »Sie können uns den Weg zeigen, nachdem wir aufgegessen haben«, sagte er, dann fügte er hastig hinzu: »Falls es Ihnen nichts ausmacht, bitte.«
Die alte Frau zuckte die Achseln. »Es macht mir überhaupt nichts aus. Es kostet so und so das Gleiche!«
Als sie in Richtung Küche davonschlurfte, war Morag froh, dass sie ging.
»Hört mal«, flüsterte Morag. »Darf ich etwas sagen, das mir Sorgen bereitet?«
Bertie legte die Stirn in Falten. Er war zu erschöpft für etwas Besorgniserregendes, wollte aber nicht unhöflich sein. Er seufzte.
»Nur zu«, sagte er gedehnt.
»Nun«, begann Morag leise und sah sich um. Der Mann in der Ecke schaute wieder direkt zu ihr hinüber. Als er bemerkte, dass sie ihn beobachtete, lächelte er wissend. Sie schauderte. »Es ist dieses Lokal. Bin ich die Einzige oder fühlt sich auch einer von euch seltsam?«, flüsterte sie.
»Was meinst du mit ›seltsam‹?«, fragte Shona, die den Mund voller Steak und Zwiebeln hatte. Auch sie sah sich um.
»Ich weiß es nicht. Ich fühle mich hier nicht sicher«, zischte Morag. »Ich kann es nicht erklären. Wahrscheinlich bin ich einfach nur dumm, nicht wahr?« Sie stieß ihre Gabel in den Rest ihrer Makkaroni und rollte einige Nudeln auf.
»Nicht sicher? Nicht sicher?«, wiederholte Aldiss zögernd.
»Ah, meine Liebe, bei uns bist du absolut sicher«, sagte Bertie. »Mach dir keine Sorgen. Du bist wahrscheinlich nur müde, das ist alles. Morgen früh wird alles ganz anders aussehen.«
»Ich hoffe es«, antwortete Morag und gähnte. Sie freute sich darauf, endlich ins Bett zu kommen.
»Psssssssst!« Es war Henry. Morag blickte auf das Medaillon hinab. »Morag«, sagte er. »Du wirst schon zurechtkommen. Ich passe auf uns alle auf.«
»Danke, Henry.« Sie lächelte, aber irgendetwas bereitete ihr weiter Unbehagen und sie konnte sich noch immer nicht ganz entspannen.
Sie blickte wieder zu dem Mann hinüber. Eine Riesin von einer Frau, deren Gesicht und Körper von einem schwarzen
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