Moral in Zeiten der Krise
etwas anderes als wir Christen
erfahren?
Heym: Sehen Sie, die Juden gehören zu einer verfolgten Minderheit, nicht erst seit Hitler. Das ist über die Jahrtausende gegangen, und das hat sie natürlich geprägt. Ich glaube, das hat auch mich geprägt. Man gehört eben zu einer verfolgten Minderheit.
Das bedeutet natürlich nicht, daß man alles glaubt, was die geglaubt haben. In meiner Jugend habe ich eine wenig religiöse Haltung gehabt. Denn in der Weimarer Zeit, in der ich meine einprägsamsten Jahre gelebt habe, waren die Kirche und natürlich auch das jüdische Establishment sozusagen staatserhaltend. Sie waren alle etabliert und einverstanden mit den Dingen, wie sie waren. Dabei war doch klar, daß das, was war, nicht gut und nicht richtig war. Erst recht in der Hitlerzeit, wenn Sie die Rolle der Kirche verfolgen, war das keine erfreuliche Sache. Man darf aber natürlich die Kirche und Gott nicht verwechseln. Gott ist eine ganz andere Sache. Das ist nicht gegen die Kirche gesagt. Die Kirche ändert sich heute. Sie ändert sich besonders in der DDR .
Aber Gott, was ist denn dieser Gott? Ich habe mir sehr viele Gedanken darüber gemacht: Brauchen wir ihn, und wie sieht er aus? So ist es gekommen, daß ich mich gleich in zwei Romanen, im König David Bericht und im Ahasver mit diesem Gott beschäftigt habe, der auch mein Gott ist; denn ich habe ihn mir ausgedacht. Ich glaube überhaupt, daß Menschen sich den lieben Gott, ihren lieben Gott, ausdenken. Ich bin nicht sicher, ob er außerhalb unser überhaupt existiert.
Lassen wir das dahingestellt! Es gibt dafür keinen Beweis, und es gibt auch dagegen keinen Beweis. Aber für den Menschen ist es doch, im allgemeinen so: Die Menschen haben eine Urangst. Sie haben eine Urangst vor dem Universum, vor den Rätseln, die da sind. Der Höhlenmensch hat Angst gehabt vor Blitz und Donner, hat eine Zuflucht gesucht und hat versucht zu ergründen, warum so etwas ist. Noch heute ist es bei uns so: Je weiter wir vorstoßen in den Kosmos, je mehr wir über die Teilchen, über Gene und was auch immer lernen, desto mehr Rätsel öffnen sich uns.
Für diese Rätsel, die immer mehr werden, wissen wir nur eine Antwort: Irgendwo sitzt da ein Gesetz! Da redet man von dem Urknall. Was war denn vor dem Urknall, wer hat denn diesen Urknall geschaffen, und wo war die Materie, die aus diesem Urknall herauskam? Wieso war das eine Materie, die irgendwo ein Staubkörnchen enthielt, das die Möglichkeit hatte, daß daraus ein Mensch entstand, und zwar ein Mensch mit einer solchen Organisation der Materie, daß er über sich, über die Rätsel der Natur und über diesen Gott nachdenken konnte? Woher kommt das? Wenn Sie das richtig bedenken, glaube ich, könnte man fast verrückt werden. Da wir nicht verrückt werden wollen, haben wir irgendwie einen Gott geschaffen. So sehe ich das, und so habe ich das geschrieben.
Ich möchte auf mein Buch Ahasver zurückkommen, nicht als eine Reklame dafür – bitte, mißverstehen Sie mich nicht –, sondern weil mich gerade dieses Problem, das Sie angesprochen haben, interessiert hat, und weil ich das da beschrieben habe. Es geht darum: In dem Buch gibt es zwei Leitfiguren. Der eine heißt Luzifer und ist natürlich der Teufel. Der andere heißt Ahasver und ist der Ewige Jude. Aber der Ahasver in meinemBuch ist nicht nur der Ewige Jude, er ist auch ein gefallener Engel wie Luzifer.
Der Unterschied zwischen beiden ist, daß Luzifer sagt: Diese Welt, die Gott geschaffen hat, die stinkt, und alles, was man zu tun braucht, damit sie zugrunde geht, ist, sie so weitermachen zu lassen, diesen Gott so weitermachen zu lassen, diese Menschen so weitermachen zu lassen, und am Ende werden sie sich selbst vernichten! Das ist die große Idee des Teufels, die teuflische Idee. Dieser Ahasver aber ist ein Revolutionär. Er sagt: Gut, es ist nicht alles richtig, diese Schöpfung ist nicht vollkommen, aber es ist meine Aufgabe, unsere Aufgabe, das zu ändern. Die Menschen sind veränderbar, die Welt ist veränderbar.
Das sind diese beiden Typen, und ich muss Ihnen sagen: Obwohl mir Luzifer sehr am Herzen liegt – das ist ein sehr gescheiter Kerl, und seine Taktik
ist gar nicht so schlecht –, ist mein Herz auf der Seite von Ahasver, der glaubt, daß man die Welt und die Menschen verändern kann, und der sich damit
auch in Gegensatz zu der Prädestinationslehre stellt. Denn nach der Prädestinationslehre ist alles vorbestimmt, da können wir gar nichts tun. Ich
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