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Moral in Zeiten der Krise

Moral in Zeiten der Krise

Titel: Moral in Zeiten der Krise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst-Eberhard Richter
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meine,
     wir können sehr viel tun. Den Beweis, daß das möglich ist, erbringen Sie alle hier.
    Rein: Herr Richter, wie gehen Sie als Therapeut mit Gottesvorstellungen um? Gibt es eine
     Ohnmacht in uns allen, die eigene Gottesbilder erzeugt?
    Richter: Ich muß erst einmal noch etwas zurückgehen und eine kritische Bemerkung zu Heyms Vorstellung machen, daß es heute noch üblich oder noch weit verbreitet sei, wie im 19. Jahrhundert oder Anfang des 20. Jahrhunderts die Rätsel, die durch die Naturwissenschaften immer wieder neu eröffnet werden, staunend in Gottergebenheit aufzunehmen.
    Ich glaube, daß wir heute in einem Kulturkreis leben, in dem beileibe nicht dieses Staunen, dieses Bewundern, diese Ergebenheit, diese Ehrfurcht vor den Rätseln der Schöpfung unsere Kultur und unsere Politik bestimmen. Herrschend ist ein ganz anderes Verhältnis, das im Augenblick vielleicht durch SDI , durch die Aufrüstung des Weltraums, am deutlichsten sichtbar wird, nämlich daß man sich das, was noch an Geheimnissen da ist, zunutze macht, daß man das erforscht, aber nicht um es zu verehren und darin Gott zu finden, sondern um in eigener Identifizierung mit Gott, sozusagen mit einem Allmachtsanspruch, diese Erkenntnisse technisch zu nutzen. Ich glaube, daß unsere unverantwortlichen und viel zu risikoreichen Hochtechnologien in der Atomtechnik und in der Rüstung Ausdruck dieser Identifizierung mit göttlicher Allmacht sind.
    Ich glaube allerdings, daß damit eine zwiespältige Haltung gegenüber Gott oder der Gottesidee mehr und mehr sichtbar wird. Man hat Angst, Gott
     endgültig zu verlieren, obwohl man ihn schon weitgehend in dem Fortschritt kastriert und ohnmächtig gemacht hat. Man will sich das aber nicht eingestehen
     und will sich weiterhin Gott erhalten als einen, der einen schützt, der einem Geborgenheit gibt, an dessen Gnade man glaubt. Gleichzeitig aber sieht man
     heimlich dieser Schöpfung nicht ehrfurchtsvoll zu, sondern macht vieles, was diese Schöpfung mit endgültiger Vernichtung bedroht. Wir sollten ehrlich sein
     und uns eingestehen: Wenn wir so weitermachen, kommen wir zu diesem Ende und haben eigentlich ein heuchlerisches Verhältnis zu Gott.
    Rein: Herr Richter, hat das neue Denken etwas mit der notwendigen Verbesserung der
     sozialistischen Gesellschaftssysteme zu tun, oder könnten Sie sich vorstellen, daß auch unserem Gesellschaftssystem ein neues Denkengut
     zu Gesicht stünde? Ich frage dies deshalb, weil ich weiß, daß Sie und viele Menschen sich in den letzten Wochen und Monaten Sorgen darüber machen, daß
     hier immer noch ein Bild entworfen wird, das von der anderen Seite als von der Dunkelheit und von der eigenen Welt als von der Lichtwelt spricht. Woher
     kommen solche Beschreibungen, daß man hier das Reich des Lichts, dort das Reich der Finsternis zu sehen meint? Drücken sich Ängste darin aus, daß dieses
     Feindbild entsteht?
    Richter: Das ist eine alte Denktradition, auch im Christentum. Es kam von den Manichäern auf Augustin, das Bild, daß es auf der einen Seite ein Reich des Lichtes gibt, das Reich des Guten, und auf der anderen Seite ein Reich der Finsternis, das Reich des Bösen, und daß es keine Versöhnung zwischen diesen beiden Reichen gibt. Wir haben in den letzten Jahrzehnten immer wieder erlebt, daß die Einteilung in zwei solche unversöhnlichen Reiche ein bestimmendes Merkmal der Mentalität ist, die zum Beispiel dieses atomare Wettrüsten begründet hat.
    Ich glaube, daß wir heute lernen müssen, systemübergreifend zu denken. Tschernobyl und ähnliche Vorfälle haben uns gezeigt, daß die Grenzen zwischen den Blöcken nicht mehr respektiert werden von den Gefahren und Bedrohungen, die unser aller Leben gefährden.
    Es gibt die Prognose von Experten, die besagt: Wenn wir nicht in den nächsten zwanzig Jahren diese Billionen, die wir jetzt in die Rüstung und eventuell in SDI pumpen, noch umgehend in umweltschützende Technologien umleiten, dann werden wir noch in dieser Generation so irreversible Zerstörungen der Umwelt produzieren, daß das alle künftigen Generationen nicht mehr ändern können.
    Wir müssen lernen, auf dieser Welt in Überwindung der herkömmlichen Dogmen eine neue Denkform zu entwickeln, die es uns ermöglicht, gemeinsam die internationale Politik zu vermenschlichen, wie Gorbatschow das gesagt hat, und zugleich zu kooperieren, um die Umwelt zu schützen. Ich habe bei Begegnungen in Moskau, die letzte vor zwei Wochen mit Valentin Falin, mit

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