Morbus Dei: Im Zeichen des Aries: Roman (German Edition)
hinten.
Elisabeth streckte reflexartig die Arme aus und konnte die Lampe im letzten Moment auffangen, bevor sie auf den Boden prallte.
Entgeistert sprang sie auf, hielt aber ihren Kopf in Deckung des Wagens. Aus dem Wald drangen Schüsse, Geschrei von Pferd und Mensch gellte auf der Lichtung, alles stob auseinander.
Alain rannte auf sie zu. Elisabeth fasste sich und zertrümmerte die Öllampe auf den Pulverfässern. Fauchend stieg ein Feuerball empor, hinter ihr wieherte panisch ein Pferd.
Alain packte Elisabeths Hand und zerrte sie zum Waldrand. „Das ist Johann“, rief sie und versuchte sich loszureißen.
„Wissen wir nicht“, entgegnete Alain und stieß sie durch ein Gebüsch in Deckung. Er legte sich neben sie und beobachtete das Geschehen. „Wenn das hier vorbei ist und das wirklich dein Retter sein sollte, dann können wir immer noch herauskommen. Im Moment können wir dort drüben nur sterben.“
Elisabeth wusste, dass Alain recht hatte.
Durch das Geäst verfolgte sie, wie sich das Chaos wieder einer Struktur unterordnete: Die Söldner hielten ihre Waffen im Anschlag und verschanzten sich hinter den Wägen, die Verwundeten schleiften sich durch den aufgeweichten Boden und suchten unter den Wägen Schutz. Die Tür der Kutsche war aufgerissen, Gamelin hatte hinter seinen Männern Stellung bezogen, sein Gesicht war wutentbrannt. Laut brüllte er etwas, dann entluden die Männer eine Gewehrsalve in den Wald und waren Augenblicke später von dichtem Pulverdampf eingehüllt.
Plötzlich stoben aus dem Wald Soldaten in Uniform mit knallgelben Rockaufschlägen hervor, gleich jenen, die Elisabeth an der Wiener Rumorwache gesehen hatte.
Pulverdampf hüllte die Lichtung ein, Elisabeth und Alain konnten nichts erkennen, das Klirren der Waffen und das Geschrei der Männer drangen jedoch schmerzhaft an ihre Ohren. Ein brutaler Kampf war entbrannt – Mann gegen Mann.
Der Dampf hatte sich beinahe aufgelöst, als eine dröhnende Explosion alle in der Bewegung verharren ließ: Die Pulverfässer auf dem Proviantwagen explodierten. Holzsplitter, Wagenräder und Proviantstücke flogen durch die Luft, die Pferde des Wagens stürmten in rasendem Galopp davon.
Die anderen Pferde zerrten nun ebenfalls panisch an ihrem Geschirr und brachten damit einen der Menschenkäfige zum Kippen. Kurz darauf fiel auch der zweite. Mit dumpfem Krachen und unter Geschrei der Insassen prallten sie auf die Erde und begruben Verwundete unter sich.
Die Stäbe der Käfige zerbrachen.
Ungläubig beobachteten sowohl die Söldner als auch die Soldaten mit den gelben Rockaufschlägen, wie die Inhaftierten aus ihren zerborstenen Verließen krochen. Sie schienen für einen Moment unschlüssig, was dies für ihren Kampf bedeutete. Aber als die ersten der Kranken über ihre Gegner herfielen, ungeachtet, auf welcher Seite sie kämpften, spielte es keine Rolle mehr.
Die Fronten verschwammen, alles glich einem bizarren Tanz, bei dem immer weniger Tänzer auf der Bühne verblieben, je länger er dauerte. Elisabeth liefen Tränen über die Wangen, sie fühlte sich unendlich machtlos.
Auch Alain konnte es kaum glauben. In seinen langen Jahren als Söldner hatte er so etwas noch nie gesehen – jeder kämpfte nur noch um das nackte Überleben. Gewehre knallten, Messer fuhren in Leiber, Körper fielen verdreht in den Schlamm. Alles war Feind.
Bilder brannten sich in Elisabeths Erinnerung ein:
Das Antlitz eines Söldners, blutverschmiert, panisch.
Das Antlitz eines Soldaten, grimmig, im Kampf, dann die Augen plötzlich aufgerissen und starr.
Das Antlitz eines Kranken, von pulsierenden schwarzen Adern überzogen, den Mund zu einem Schrei geöffnet, der schon im Ansatz erstickt wurde.
Alain legte seine Hand auf Elisabeths Schulter, die ihr Gesicht nun in den Händen vergrub und darauf wartete, dass das abscheuliche Getöse verstummte.
XXIV
Johann, der Preuße, Hans, Karl und Markus ritten über einen schmalen Pass, auf der anderen Seite schlängelte sich der Saumweg wieder talwärts. Sie hatten den Gebirgskamm erreicht.
Johann zügelte sein Pferd, die anderen taten es ihm gleich.
„Es hat aufgehört zu regnen“, bemerkte Markus stumpf und streichelte über den Hals seines Pferdes, dessen Fell dampfte.
„Einerlei, hier sind sie nicht. Hier waren sie auch nie“, antwortete Johann gereizt.
„Bist du sicher?“, fragte der Preuße und musterte das Tal, das sich vor ihnen eröffnete. Aus den Wäldern stieg feiner Nebel auf, als würden die
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