Morbus Dei: Im Zeichen des Aries: Roman (German Edition)
Turin reiten und dort mit der Armee von Maréchal de camp La Feuillade zusammentreffen. Selbst mit einer Kranken ließen sich schnell viele neue Kranke erzeugen, Gamelin hatte dies in Wien selbst erlebt.
Er nahm noch einen Zug aus seiner Pfeife.
Nachdem man ihn dann zum Maréchal général des camps et armées du roi ernannt hatte, würde er seinem lieben Bruder Charles, der im Château der Familie residierte, einen Besuch abstatten. Als Erstgeborenem waren ihm Titel und Besitztümer der Familie vererbt worden, während für Gamelin nur die militärische Laufbahn Ruhm und Anerkennung versprach. Gamelin freute sich bereits auf das dümmliche Gesicht seines Bruders, wenn er ihm die Neuigkeit seiner Beförderung persönlich überbrachte.
Aber erst würde er sich auf die Suche nach Elisabeth begeben. Für ihn bestand nicht der geringste Zweifel daran, dass er sie finden würde. Gamelin war überzeugt, dass sie nicht Richtung Wien zurückgehen würde, denn dort erwartete sie nur der Tod. Es blieb ihr also nur der Weg über den Semmering. Vermutlich würde sie dann weiter der Hauptstraße folgen, denn dort würde sie weniger auffallen, als wenn sie allein durch die kleinen Dörfer zog.
Gamelin atmete tief durch und genoss die Ruhe, die im Raum herrschte. Nur das Knistern der brennenden Holzscheite im Ofen erzeugte einen beruhigenden Rhythmus, bei dem ihm langsam die Augen zufielen, bis er schließlich in tiefen Schlaf fiel.
Hinter Gamelin, in einer dunklen Ecke der Stube, lagen übereinandergeworfen die leblosen Körper der sechsköpfigen Bauernfamilie, die dem französischen Sondergesandten vor nicht einmal einer Stunde arglos die Tür geöffnet hatte.
XXIX
Aufzeichnungen des Ambrosius Freyer
Hospiz zu Urfahr
Anno Domini 1704
Heute wurde der Sturm endlich schwächer. Große Freude machte sich breit, denn manche der Brüder hatten bereits geglaubt, dass der Herr uns zürnen und dass uns das letzte Gericht drohen würde. Auch wenn solcherlei Gerede untersagt wurde, hat es sich schnell verbreitet.
Und doch hatten die Brüder recht – das Unheil kam. Es kam mit den letzten Ausläufern des Sturms in Gestalt von Antonio Sovino, der seine Schwarze Garde vor unsere Tore führte.
Sie erbaten Einlass und Rast, und was blieb uns anderes übrig? So aßen sie mit uns, während die Blitze um das Refektorium zuckten und der Donner heftig grollte.
Das Mahl wurde in bedrückendem Schweigen eingenommen. Es war, als ob jeder die Anwesenheit des Bösen fühlte und danach trachtete, es nicht auf sich aufmerksam zu machen. Nur Sovino und seine Höllenhunde ließen es sich schmecken.
Sovino …
Ich kenne alle Geschichten, die man sich über ihn erzählt, weiß von den Untaten, die seine Schwarze Garde begangen hat. Dieses Kloster hat manche der Unglücklichen versteckt, die einen Strafzug Sovinos überlebt haben – was sie berichteten, war so schrecklich, dass befohlen wurde, nichts davon in die Chroniken aufzunehmen.
Deshalb wagte es niemand im Saal ihn anzusehen, auch ich nicht.
Als wir das Mahl fast beendet hatten, erhellte draußen ein mächtiger Blitz den Himmel, ein Donnerschlag erschütterte das Refektorium so stark, dass uns der Atem stockte. Ein Fenster schlug auf, kalter Wind wehte durch den Saal und ließ die Kerzen flackern.
Ich weiß nicht warum, aber ich hob den Kopf und blickte zu Sovino. Langsam drehte er sich zu mir und starrte mich an. Im Licht der Kerzen waren seine Augen schwarz, Abgründe der Hölle.
Ich konnte nicht anders. Ich stand auf und verließ das Refektorium. Alle blickten mir nach, aber das war mir einerlei. Ich suchte den Schutz meiner Zelle auf, und dort betete ich darum, diese Augen nie wiedersehen zu müssen, und darum, dass das Böse unser Kloster verlassen würde.
Auch als ich kurz darauf hörte, dass Sovino und seine Männer weiter nach Westen geritten waren, verharrte ich im Gebet. Ich schloss jene mit ein, zu denen die Schwarze Garde unterwegs war, denn über diese armen Seelen wird gewiss das Jüngste Gericht hereinbrechen.
Herr, steh ihnen in Deiner unendlichen Güte bei.
1 Tag der Tränen, Tag der Wehen,
Da vom Grabe wird erstehen
Zum Gericht der Mensch voll Sünden –
Morbus
XXX
Sophie verließ die Dunkelheit des Hauses und trat hinaus in die blutrote Dämmerung. Sie holte tief Luft, sog die regennasse Kühle ein, den herben Duft der Wiesen und Wälder, ein Duft, in dem wie immer ein Hauch von Schnee lag. Es war der Schnee auf den Bergen, die auf das Dorf
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