Morbus Dei: Inferno: Roman (German Edition)
sind wir bereits einige Tage unterwegs. Die Tage sind kurz, es schneit beständig, das macht den Weg über die Berge beschwerlich und langsam.
Weil wir die Sonne kaum sehen, geht es mir den Umständen entsprechend. Johann sorgt sich um mich, ich beruhige ihn, so gut ich kann.
Was vermag er auch zu tun?
Meine Träume sind weniger geworden. Aber ich muss nicht mehr von ihnen träumen – ich weiß, dass ich zu ihnen gehöre, weiß jedoch immer noch nicht, warum die Krankheit bei mir nicht vollends ausbricht oder zumindest sich so langsam entwickelt.
Hat der Herr noch etwas vor mit mir?
Er schenkt mir immer wieder Zeiten, in denen ich mich so klar wie früher fühle. Wer weiß, möglicherweise klingt die Krankheit langsam wieder ab, ähnlich wie ein Fieber? Ich würde es mir von ganzem Herzen wünschen und bete täglich darum.
Hinter dem Semmering, im Winter des Jahres 1704.
Kaum hatten wir den Kamm des Semmerings überschritten, wehte uns ein milder Wind entgegen. Die Schneedecke ist niedriger, und wir sehen immer wieder Spuren von Füchsen, Rehen und Hasen. Auch Vogelgesang dringt von den Baumkronen, und nachdem ich heute einige Schneeglöckchen und Frühlingsknotenblumen entdeckt habe, bin ich zuversichtlich, dass wir den Winter hinter uns gelassen haben.
Und wo mir vor wenigen Wochen vereinzelte Sonnenstrahlen wie Funken auf der Haut brannten, empfinde ich sie jetzt als angenehm und wohltuend, zumindest heute.
Der Herr hat meine Gebete erhört.
Auf dem Weg nach Wien, im Winter des Jahres 1704.
Gestern sind wir an einem Dorf vorbeigekommen, in dem die Pest herrschte. Schon von weitem rochen wir den fauligen Gestank von Verwesung und sahen die kalkweißen Andreaskreuze an vielen der Häuser.
Johann wollte nicht, dass ich hinsehe, aber konnte nicht anders. Es war wie in einem Alptraum. Pestkarren, auf denen sich die Toten stapelten, Menschen, die Totentänze aufführten und Pestlöcher, in die die armen Seelen wirr durcheinander hineingeworfen und von Siechenknechten zugeschaufelt wurden.
Und das hier war nur ein kleines Dorf. Johann meint, dass die Städte während der großen Epidemien Höllenlöchern glichen. Ich will ihm nicht glauben, weiß aber, dass er recht hat.
Im Angesicht des schwarzen Todes scheint meine Krankheit kaum der Rede wert. Jetzt wo es mir ein wenig besser geht, schäme ich mich beinahe, so viel innerlich geklagt zu haben, verglichen mit dieser unmenschlichen Tragödie.
In den nächsten Tagen werden wir Wien erreichen.
XXIX
In der blutroten Morgendämmerung warf die Säule einen langen Schatten über den Hügel. Sie war mit kunstvollen Steinbögen verbunden, die teilweise jedoch eingefallen oder beschädigt waren. Rund um den Tabernakelpfeiler reihten sich Figuren, die Kreuzigung, Geißelung und Dornenkrönung Jesu darstellend.
Alles zusammen bildete eine gut acht Klafter hohe Säule – die Spinnerin am Kreuz.
Sie begrüßte jeden, der sich Wien von Süden näherte, ob Reisenden oder Eroberer, und sie war auch das Erste, was Johann und Elisabeth von der Stadt sahen. Dann erreichten sie den Wienerberg, der Anblick, der sich ihnen von oben auf die Stadt bot, war überwältigend.
Vor ihnen lag Wien, eingefasst von einer im Zickzack verlaufenden Stadtmauer mit vorgelagerten Basteien, die nur über Brücken erreichbar waren. Davor lag das weitläufige Glacis, eine unbebaute Schutzzone, die nach der letzten Türkenbelagerung angelegt worden war, um Belagerern keine Deckung zu bieten. Dann reihten sich die Vorstädte halbkreisförmig aneinander und endeten am Ufer der Donau, die Wien im Norden einrahmte.
Die alte Kaiserstadt ragte wie eine uneinnehmbare Bastion aus der Ebene.
„Johann, das ist – unglaublich.“ Elisabeth erinnerte sich daran, wie sie über Innsbruck gestaunt hatte, aber das hier war mit nichts vergleichbar.
Auch Johann war beeindruckt. „Kein Wunder, dass die Türken Wien nicht einnehmen konnten.“
Sie gingen weiter, näherten sich der Spinnerin. Neben der Säule standen zwei Richträder, die an Pfählen festgebunden waren. Raben kreisten um die Speichen und die Überreste der Gerichteten.
Elisabeth wendete angewidert den Blick ab.
Johann legte den Arm um sie. „Es wird alles gut. Wenn wir erst weg sind, wenn wir in Siebenbürgen sind, ist all das vergessen.“
Fast hätte sie ihm geglaubt, aber genau in diesem Moment begann ihr Hals zu pochen, zum ersten Mal seit Tagen, und erinnerte sie an das, was in ihr schlummerte.
Sie blickte um sich, sah die
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