Mord am Millionenhügel
nüchtern. »Eigentlich traumhaft. Vermutlich liegen die meisten Schlafzimmer nach hinten, und hier« – er deutete auf einen Punkt der Karte ungefähr im Zentrum des Garten-Parks – »stehen ein paar Bäume, auf die man hervorragend steigen kann. Wer in einem dieser Bäume sitzt und ein Opernglas bei sich hat, kann bestimmt viele nette Dinge sehen.«
Ich zweifelte. »Vielleicht auch nicht. Immerhin soll es ja Leute geben, die Vorhänge zuziehen oder Rolladen runterlassen, bevor sie sich oder andere ausziehen.«
Baltasar schüttelte den Kopf. »Wozu denn? Klar, wenn man an der Straße wohnt und jeder Nachtwanderer reinschauen kann. Aber hier doch nicht. Wenn die Schlafzimmer wirklich alle nach hinten liegen, das heißt, an diesem Garten-Park oder Park-Garten, dann gibt's absolut keinen Grund. Die Bäume in der Mitte sorgen dafür, daß man von keinem Haus in ein anderes sehen kann. Bäume haben bekanntlich Krone und Blätter.«
»Vor allem im Sommer«, sagte ich. »Wie aber steht's im Winter?«
Baltasar blinzelte. »Was soll der Winter? Wir haben August. Man kann zwar in Bonn nie von Sommer reden, aber …«
»Deinen Ausführungen«, sagte ich ein wenig sarkastisch, »entnehme ich, daß es sich bei den Gewächsen im Garten um Laubbäume handelt, weil man auf Nadelbäume nicht so gut klettern kann. Okay. Laubbäume sind aber winters nackt. Also könnte man im Winter in die Nachbarhäuser sehen. Also könnte man sich seit Jahren daran gewöhnt haben, die Fenster zu verrammeln. Und, wegen der Gewohnheit, dann auch im Sommer.«
Baltasar zögerte einen Moment. »Gut«, sagte er dann, »du könntest recht haben. Man kann aber auch davon ausgehen, daß sie sich seit Jahren daran gewöhnt haben, im Winter verschlossen und im Sommer offen zu schlafen. Zwei plausible Annahmen. Wir werden«, sagte er fröhlich, »einen Lokaltermin machen und uns selbst davon überzeugen müssen.«
Ich klopfte auf den Tisch. »Nix da. Wenn du dir einbildest, ich krieche nachts durch fremde Gärten und spioniere Schlafgewohnheiten aus …«
»Nun reg dich doch nicht so auf. Derart schwierige und diskrete Jobs werde ich dir niemals aufbürden. Dazu muß man sich hurtig und lautlos bewegen können. Ich fürchte, dir geht die notwendige Geschmeidigkeit des Leibes ab; von deiner geistigen Starre nicht zu reden.«
»Aha. Und wer soll's dann machen?«
Baltasar schaute mich verwundert an. »Na, wer wohl? Ich!«
Ich prustete los. »Ach, Dickerchen«, sagte ich, »dich möcht ich sehen, wenn du mit deinen hundertzwanzig Kilo wie ein Satyr durchs Geäst huschst. Ha!«
Er patschte auf seinen Bauch. »Ah«, knurrte er, »du wirst schon sehen. Ich bin ein Gummiball.«
Wir alberten noch eine Weile herum; schließlich verkündete er, er werde in den kommenden Tagen weitere diskrete Nachforschungen anstellen und mich spätestens demnächst wieder informieren.
»Deine unschätzbare Hilfe«, sagte er großzügig, »wird mir zweifellos bei der Erhellung dieses verwickelten Dunkels förderlich sein.«
»Paß auf deine Metaphern auf«, empfahl ich ihm, »sie laufen dir aus dem Ruder. Du bist also nach wie vor wild entschlossen, diese Zahnbürsten-Spinnerei bis zum bösen Ende durchzuziehen?«
»Bis zur Aufklärung dieses finsteren Mordfalls.«
Ich lehnte mich zurück. Ich gebe zu, daß ich verblüfft war. »Wieso Mord? Und wieso Fall?«
»Meine Nase«, sagte er großspurig, »sagt mir, daß es ein Mord ist, was sich am Schluß erweisen wird. Haselmaus ist ein vorzügliches Opfer. Niemand wird ihn vermissen. Vielleicht hat da jemand den perfekten Mord begangen. Und ich, entschlossen, meine vielfältigen Talente einer weiteren Disziplin zuzuwenden, werde mit kriminalistischem Scharfsinn die Sache klären.«
Ich war einigermaßen enttäuscht. Dann schalt ich mich einen Narren; statt anzunehmen, Baltasar habe noch etwas Wichtiges in der Hinterhand, hätte ich gleich davon ausgehen sollen, daß er mit seiner Nase und seiner Phantasie befaßt war. Die theatralische Rede konnte nicht verdecken, daß er wirklich nicht mehr wußte als ich.
»So, so. Du willst nun also unter die Kriminalisten gehen?«
Er schüttelte den Kopf. »Du irrst, mein Lieber. Ich bin bereits unter sie gegangen.«
Am Mittwoch konnte ich ungestört arbeiten. Am Donnerstag wurde ich mit meiner Arbeit fertig. Zwischendurch hatte ich nicht mehr an die Affäre gedacht. Am Spätnachmittag, als ich mich dem Gefühl hingeben wollte, etwas erledigt zu haben, fiel mir die Zahnbürste
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