Mord am Millionenhügel
Schießen; beweisen läßt sich sowieso nichts mehr, weil Burger die Kugel hat. Aber der Arzt ist Hobbyschütze. Er hat das Ding ja in der Hand gehabt und ist bereit, heilige Eide darauf zu schwören, daß es sich nicht um Gewehr-, sondern um Pistolenmunition gehandelt hat, und zwar, meint er, wahrscheinlich für ein amerikanisches Fabrikat, für das man einen Waffenschein braucht und das auf keinen Fall zum Jagen verwendet wird. Außer zur Jagd auf Präsidenten. Drittens: Nach seinen Waffenkenntnissen und nach der Art der Wunde schätzt er, daß der Schuß aus etwa drei bis vier Metern Entfernung abgegeben wurde. Das schließt einen Unfall beim Reinigen aus. Es sei denn, jemand anderer hätte gereinigt ...«
Ich hatte ein paar Zweifel. »Ich glaub, du erzählst da schöne Geschichten. Nun mal die nicht ganz so dramatische Wahrheit.«
»Du Spielverderber.« Edgar zog einen Flunsch. »Also schön. Der Arzt hat sich die Sache angesehen, durchleuchtet. Eigentlich wollte er wohl noch ein paar Aufnahmen machen, aber der Schußkanal war klar und eindeutig zu sehen. Das Projektil ist von vorn eingedrungen, unter dem Schlüsselbein, vorbei an allen wichtigen Gefäßen und Knochen, und dann etwa fünfzehn Millimeter vor dem Wiederaustritt im Rücken steckengeblieben. Burger wollte alles ganz schnell hinter sich bringen. Also hat der Arzt ihm eine Spritze gegeben und das Ding rausgeholt. Die Sache hat nicht viel länger als eine Stunde gedauert, alles in allem. Burger hatte nicht sehr viel Blut verloren; die Kugel hatte ja keine wichtigen Gefäße verletzt. Wahrscheinlich, meint der Arzt, war die Verletzung ungefähr zwei Stunden alt, als Burger in die Ambulanz kam.«
»Das heißt gegen sechs. Komisch. Wenn man nur wüßte, wo das passiert ist. Irgendwer müßte doch um sechs am Nachmittag was gehört haben!«
Edgar runzelte die Stirn. »Die Welt ist voll von Geheimnissen«, sagte er. »Vielleicht hat niemand etwas hören wollen, oder es ist an einem Ort passiert, wo keiner was hören konnte, oder der Schütze hat einen Schalldämpfer verwendet.«
Ich konsultierte Baltasars Report. »Ich muß gestehen«, sagte ich, »daß ich Matzbachs Geseires bisher nur überflogen habe, aber – Moment, hier ist es. Hartmut L. Burger, vierunddreißig, ungefähr einsachtzig, dunkelbraunes Haar, Auswärtiges Amt, war Attaché in Südamerika, ist seit acht Monaten wieder in Bonn, die übliche Zwischenetappe vor dem nächsten Auslandsjob. Ah, der aufmerksame Baltasar: Hält sich unnatürlich gerade, eventuell Verletzung oder Wirbelsäulenschaden? Matzbach steigt in meiner Achtung, das muß ich zugeben.«
Der Witwer Pistorius, las ich, war seit Anfang August im Urlaub. »Hat offenbar einen Hang zu Weltreisen.«
Edgar knurrte: »Widerliches Hobby, ist mir völlig unverständlich.«
»Jedenfalls war er nicht da. Das heißt, daß die Kleinsiepes im Prinzip zu der Zeit das ganze Haus für sich hatten.«
Wir überlegten noch eine Weile hin und her, kamen auch zu vielen phantastischen Einfällen, fanden jedoch nichts, was über die ästhetische Freude hinaus zu kriminalistischer Befriedigung geführt hätte. Wir spielten eine weitere Partie Schach, die ich wieder verlor, aber nicht ganz so haushoch, dann verschwand Edgar. Ich las mein Buch zu Ende und beschloß, am nächsten Tag der Beschäftigung mit Matzbachs Anweisungen ein wenig näher zu treten.
6. Kapitel
Umgeben von einem unauffällig-halbtraurigen Anzug klingelte ich gegen 17:15 Uhr an der ersten Tür. Am Ende der mehrfach erwähnten Stichstraße liegt ein kleiner Wendeplatz, auf dem einige Wagen standen. Dahinter befinden sich sechs nebeneinander liegende Garagen. Rechts und links der Garagenfront brechen kleine Plattenwege zwischen Büschen hindurch zu einem unvollständigen Hufeisen auf. Die beiden Wege treffen einander nicht; sie beschreiben jeweils einen Teilkreis und enden an der wildwuchernden Verlängerung des zwischen den Häusern liegenden Parks. An jedem Weg liegen drei Häuser, mit kleinen Vorgärten und ausreichendem Seitenabstand. Insgesamt bildet die Anlage eine Art Hufeisen ohne oberen Abschluß oder ein großes Omega, dessen Fuß die Garagen darstellen.
Ich nahm den linken Weg und begab mich zum ersten Haus. Nach kurzem Warten öffnete sich die Tür halb; Baltasars Beschreibungen zufolge mußte die halböffnende Dame Frau Morken selbst sein. Ich lächelte gewinnend und trat einen halben Schritt zurück. Das ist ein alter Vertretertrick, und er wirkt fast immer.
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