Mord am Millionenhügel
alle sechs gedeckt war, und nahmen ein nahrhaftes Mahl, das aus Gemüsesuppe und Spaghetti mit Schinken und Backpflaumen bestand. Beim Essen berichtete Baltasar weiter, allerdings häufig mit vollem Mund und vielen Abschweifungen. Deshalb der Rest nun wieder gerafft.
Von Bayreuth fuhr er in die CSSR. Alle Erhebungen über Brockmann waren ergebnislos, da keine Unterlagen aus der Sudetendeutschen Zeit mehr zugänglich waren und keiner in der Gegend, aus der Brockmann stammte, sich an etwas erinnern konnte, soweit Baltasar überhaupt Leute fand, die bereit waren, Auskunft zu geben.
Besser sah es in Ahrenborns Heimat aus. Hier wohnten noch ein paar alte Böhmer, die sich, wenn auch ungern, an die Zeit des tausendjährigen Jahrzwölfts und des Protektorats erinnerten. Man zeigte ihm den Wald, in dem einst das Krankenhaus gelegen hatte. Es war im Februar 1945 bis auf die Grundmauern niedergebrannt, ohne daß ein Grund dafür bekannt geworden wäre. Allerdings hatte wohl kaum jemand nach Gründen gesucht. In der Nähe befand sich ein Anfang der 50er Jahre errichtetes Denkmal, das an die 137 Helden der brüderlichen Roten Armee erinnerte, die zwischen 1943 und 1945 hier an Verwundungen und unheilbaren Krankheiten gestorben waren.
Edgar, der die ganze Zeit geschwiegen hatte, während Moritz und ich gelegentlich überflüssige Bemerkungen machten, sagte an dieser Stelle plötzlich: »Hundertsieben-unddreißig in zwei Jahren? Ganz schön viel für so 'n kleines Krankenhaus.«
Baltasar ging nicht darauf ein. Fortsetzung seines Berichts:
Es gab – wie schon der Bayreuther Kollege erwähnt hatte – in diesem Krankenhaus eine hermetisch geschlossene Abteilung, in der Patienten mit ansteckenden Krankheiten lagen. Ahrenborn hatte sie als Argument für die Anwesenheit russischer Gefangener überhaupt angeführt; er hätte sich bereit erklärt, ansteckende Krankheiten in dieser Station zu behandeln, damit nicht das ganze Lager und möglicherweise die ganze Umgebung angesteckt würden.
Einer der alten Landleute berichtete, Ahrenborn hätte um 1943 mit Reichsgeldern ein Krematorium errichten lassen, wenn auch nur ein kleines, das direkt an das Krankenhaus angebaut wurde. Hier konnten auch Verstorbene eingeäschert werden, die in der näheren Umgebung gewohnt und diese Bestattungsform vor ihrem Tod verfügt hatten.
»Den Rest«, sagte Baltasar, »erzähl ich euch nach dem Essen.«
Diese für ihn unübliche Rücksichtnahme auf schwache Mägen ließ mich Schlimmes befürchten. Als wir später wieder im Wohnzimmer saßen, bei Kaffee und Zigaretten, fuhr er fort:
»Der Rest ist schnell erzählt. Irgendwann im Sommer vierundvierzig hat sich im Wald hinter dem Krankenhaus eine Tragödie abgespielt, von der keiner mehr etwas Genaues wußte – es war ja eine Sache der Deutschen. Jedenfalls waren Soldaten darin verwickelt und Ahrenborns Bruder, der Gestapo-Mann. Es hat ein paar Tote gegeben, der Gestapo-Mann war auch dabei, und deshalb herrschte ein paar Tage lang mächtiges Durcheinander. Einer der Alten sagt, in der deutschsprachigen Zeitung sei damals ein Bericht erschienen, aber die Fortsetzung, die Aufklärung, habe man nie erfahren. Er wußte nicht mehr viel – wie gesagt: Affäre der Deutschen. Danach lief alles normal weiter. Im Krankenhaus wurde gestorben und eingeäschert, und das ging bis Anfang fünfundvierzig. Im Februar ist dann alles abgebrannt. Damals ging ja sowieso alles durcheinander. In der Nähe des Krankenhauses fand man hinterher den Pfleger Morken, erschossen; von den anderen hat man nie wieder etwas gehört. Als ich erzählte, daß Ahrenborn heute Professor ist, hat das keinen verwundert. Er sei ein guter Arzt gewesen, angeblich. Natürlich hat keiner ihn je selbst konsultiert, er war ja Deutscher. – Der Leiter des Kriegsgefangenenlagers hat sich kurze Zeit später erschossen, als die Amerikaner kamen. Und Ahrenborn hat neunzehnhundertfünfzig eine Dissertation über Reihenuntersuchungen an Patienten vorgelegt, die an ausgefallenen Formen einer bestimmten, riskanten Virusinfektion litten. Seine Habilitation, ein paar Jahre später, war über ein ähnliches Thema.«
Er faltete die Hände über dem Bauch, aber die Geste war sehr ungemütlich. »Nun rechnet mal zwei und zwei zusammen.«
Natürlich hatten wir schon gerechnet und waren zu den gleichen, unerfreulichen Ergebnissen gekommen. Baltasar winkte ab, als ihm das Durcheinander zu laut wurde.
»Silicium«, schrie er. »Ihr benehmt euch wie eine Horde von
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