Mord am Mirador (Ein Gomera-Krimi) (German Edition)
gutem Essen. Fast hätte ich Lust gehabt, hereinzugehen, um etwas zu essen, aber als ich an die astronomischen Preise im Lokal dachte, war ich froh, dass ich jetzt eine andere Möglichkeit hatte, meine Angebetete wenigstens einmal am Tag zu sehen.
Da hörte ich, wie ein Auto sich enorm schnell näherte. Es hielt mit quietschenden Bremsen vor dem Zugang zum Restaurant. Seltsam. Es war wieder ein Krankenwagen. Männer in weißen Kitteln sprangen heraus, holten eine Trage aus dem Innenraum und eilten in das Gebäude hinein.
Sollte ich mich wieder als Arzt zu erkennen geben? Brauchte man meine Hilfe?
Ich entschied mich dagegen. Anscheinend war ja professionelle Hilfe nun vor Ort.
Ich wartete.
Die Männer kamen wieder hinaus. Sie brachten einen Patienten auf der Trage, schoben ihn in den Krankenwagen hinein, sprangen selbst hinein und der Wagen fuhr in Windeseile mit Sirene und Blaulicht davon.
Merkwürdig. Das war nun der zweite Notfall in wenigen Tagen, dachte ich.
Wo blieb nur Anita?
Ich wartete noch eine ganze Weile. Erst als ich schon einen Fuß aus meinem Wagen gesetzt hatte, weil ich vorhatte, nach ihr zu schauen, näherte sich ihre Gestalt.
Ich sprang nun ganz hinaus, um sie zu begrüßen und ihr die Beifahrertür aufzuhalten. Sie zitterte am ganzen Leib und schien völlig aufgelöst zu sein.
„Anita, mein Herz, was ist mit dir?“, fragte ich sofort besorgt und nahm sie in die Arme.
„Ach Juan, es ist alles so grässlich“, schluchzte sie. „Es war genau so wie gestern. Die Leute waren so fröhlich und es war alles so nett. Diesmal war es eine Frau, die mit ihrem Mann zum Essen gekommen war. Plötzlich ist sie zusammengebrochen. Ich habe mich furchtbar erschrocken. Sie hatten gerade den Nachtisch gegessen und ich brachte den Mokka. Mir ist das Tablett aus der Hand gefallen.“
Dann weinte sie herzzerreißend.
Ich zog sie an meine Brust und klopfte ihr beruhigend auf den Rücken, wie bei einem kleinen Kind, das einen Albtraum gehabt hatte. Nach einer Weile ließ ihr Schluchzen nach.
„Komm“, sagte ich, „steig ein. Ich bringe dich nach Hause und du gehst zu Bett. Das ist alles schon fürchterlich, aber morgen früh sieht die Welt schon wieder besser aus.“
Während der Fahrt saß sie neben mir und putze sich die Nase. Das Zittern ließ allmählich nach.
Ich versuchte, sie aufzuheitern. „Das ist nicht gerade eine gute Reklame für die Küche des Acueducto, wenn die Leute darin reihenweise umfallen“, scherzte ich.
Aber sie sagte: „Das ist nicht komisch, Juan. Das Ganze gruselt mich. Ich meine, es ist nicht meine erste Begegnung mit dem Tod, schließlich habe ich damals schon mitbekommen, wie meine Eltern gestorben sind, aber dies ist bereits das zweite Mal in wenigen Tagen, dass ich Zeuge bei einem Sterbefall war. Am liebsten würde ich dort kündigen, aber die Bezahlung ist besser, als alles was ich jemals verdient habe.“
„Bist du dir denn überhaupt sicher, dass die Frau gestorben ist?“, fragte ich. „Vielleicht hatte sie nur einen Schwächeanfall und musste ins Krankenhaus. Schau, Anita, die Leute, die es sich leisten können im Acueducto zu essen sind doch durchwegs reiche, alte, fette Touristen.“
Jetzt musste Anita doch kichern. Dann schnäuzte sie sich wieder in ihr Taschentuch.
Ich fuhr fort: „Und diese Leute leben so etwas von ungesund. Der Schlaganfall oder Herzinfarkt lauert bei denen doch nur um die Ecke. Sie fahren in die Ferien, legen sich stundenlang in die Sonne, bekommen womöglich einen Sonnenstich und am Abend fressen sie sich die Plautze voll und trinken viel zu viel Alkohol. Da ist es das natürlichste auf der Welt, wenn sie mit dem Krankenwagen abgeholt werden müssen.“
Wieder kicherte Anita erleichtert.
Ich ergänzte: „Vermutlich geht es überall in allen Restaurants in ganz Gomera so zu, nur hast du es noch nicht mitgekriegt.“
Anita atmete erleichtert auf. „Ja. Bestimmt hast du recht, Juan. Danke, dass du mich so lieb tröstest. Ich wüsste nicht, was ich ohne dich täte.“
Wir waren vor ihrem Haus angekommen. Sie sprang aus dem Wagen und ich bekam meinen Kuss, den Kuss, auf den ich mich jetzt täglich unbändig freute, auch weil er ein verführerischer Vorgeschmack davon war, welche Sinnenfreuden mich erwarteten, wenn ich Anita endlich heiraten dürfte. Ich gab ihr noch ein paar leichte Küsse auf die Wangen, die von ihren Tränen ganz salzig schmeckten.
„Ist alles wieder gut?“, fragte ich besorgt.
„Ja, alles wieder gut“,
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