Mord am Mirador (Ein Gomera-Krimi) (German Edition)
kann es noch gar nicht fassen.“
Ich tröstete sie: „Das musst du nicht so tragisch sehen, Anita. Schau, der Mann war alt. Er hat offensichtlich ein glückliches, erfülltes Leben gehabt. Was gibt es eigentlich Schöneres, als wenn man nach einem guten Leben auch so einen guten Tod im Kreise seiner Lieben haben darf? Bestimmt wird seine Familie es auch bald so sehen.“
Anita zitterte leicht, als fröstle ihr. „Ja. Vermutlich hast du recht. Nicht wie bei meinen Eltern. Nicht viel zu jung und so plötzlich aus dem Leben gerissen.“
Wir gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. Dann sagte sie: „Und du bist wirklich Arzt?“
„Ja, aber ich habe den Beruf aufgegeben. Ich erzähle dir ein anderes Mal warum. Trotzdem habe ich einmal den Eid geschworen, dass ich jedem Menschen, der meine ärztliche Hilfe aus einem Notfall heraus benötigt, auch wirklich helfe. Deswegen konnte ich nicht einfach zusehen, wie der Mann hilflos da lag.“
„Seltsam, dass Manuel dir so dazwischengefahren ist, nicht?“, sagte Anita.
„Ja. Es war völlig unmöglich von ihm. Ich bin überzeugt davon, dass er es nicht verkraften konnte, dass ich unter deinen Augen plötzlich als großer Macker und Retter auftrat.“
„Meinst du wirklich?“
„Absolut. Er betrachtet mich als Konkurrenten.“
„Das ist völlig blöd von ihm. Du bist mir viel lieber.“
Mittlerweile waren wir an ihrer Haustür angelangt.
„Danke, Juan“, sagte Anita jetzt, „Das war total lieb von dir.“
„Musst du denn immer nach Feierabend alleine nach Hause gehen?“
„Na klar. Was sollte ich sonst machen?“
„Das ist mir nicht recht, dass du so alleine durch die Nacht geisterst. Und deinen verstorbenen Eltern wäre es auch nicht recht.“
Anita sah mich mit großen Augen an. „Ach was, ich bin doch schon groß und die Bewegung tut mir gut.“
„Nein. Ich werde dich Abends immer mit dem Auto abholen und nach Hause fahren.“
Doch Anita schüttelte den Kopf. „Ich will das nicht, Juan. Das regt bloß wieder Carlos auf. Außerdem habe ich dann das Gefühl, ich müsste das irgendwie wieder gutmachen, weil ich in deiner Schuld wäre.“
„Unsinn. Das musst du nicht. Ich würde nicht einmal von dir verlangen, dass du mich küsst.“
Sie legte ihren Kopf auf die Seite und sah mich verschmitzt an. „Nein? Schade.“
Also nahm ich sie in die Arme und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen.
Dann sagte ich ihr: „Morgen Abend hole ich dich ab und bringe dich nach Hause. Nicht vergessen!“
Sie verschwand in ihr Haus und ich trabte zurück nach Arure, weit beschwingter und glücklicher als vor wenigen Tagen.
Kapitel 6
Am nächsten Morgen fuhr ich vor der Arbeit bei Pedro vorbei.
Als ich Las Hayas erreichte, sah ich kaum auf die Straße, sondern blickte nach rechts und links, immer in der Hoffnung, Anita zu sehen. Schließlich war sie vormittags sicher irgendwo hier im Dorf. Ich überlegte, ob ich gleich an ihrem Haus vorbeischauen sollte, entschied mich aber dagegen. Ich wollte ihren Wunsch, sie dort nicht ungebeten aufzusuchen, lieber respektieren.
Pedro lag nicht mehr im Bett, sondern saß unter einer schattigen Laube auf einem bequemen Sessel, den Inez ihm herausgestellt hatte.
Er strahlte mich an. „Hey, Chef! Schön, dass du nach mir siehst.“
„Na, du lässt es dir hier gutgehen“, erwiderte ich und setzte mich auf eine Bank neben ihn.
Inez trat vor die Tür und begrüßte mich. „Darf ich dir etwas bringen? Einen Kaffee?“
Obwohl ich nun schon einige Zeit auf Gomera wohnte, konnte ich mich an den spanischen Kaffee nicht gewöhnen. Er war so ganz anders gebrannt, als unser deutscher Kaffee.
Deshalb schüttelte ich energisch den Kopf. „Nur ein Glas Wasser. Das wäre schön.“
„Und wie geht es dir wirklich, Pedro?“, fragte ich.
„Viel besser, Chef. Neulich dachte ich, ich würde am liebsten sterben. Solche Schmerzen habe ich noch nie gehabt. Aber jetzt geht es wieder. Deine Mittel helfen gut.“
„Natürlich tun sie das. Dafür sind sie doch da.“
„Aber ohne sie hätte ich es nicht ausgehalten.“
Ich dachte nach. Wie war das wohl früher gewesen, wenn so ein gomerianischer Weinbauer einen derartigen Hexenschuss gehabt hatte, vor den Zeiten von Opiaten und Voltaren?
„Du hättest es aushalten müssen, Pedro“, sagte ich einfach.
„Nein. Ich hätte mir einen Strick genommen“, sagte er. Dann lachte er. „Aber ich hätte sowieso damit nichts ausrichten können. Dafür war ich zu
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