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Mord am Oxford-Kanal

Mord am Oxford-Kanal

Titel: Mord am Oxford-Kanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Bier oder Wein?» fragte Lewis.
    «Nein, vielen Dank. Ich trinke
kaum Alkohol und — es ist ja auch noch ziemlich früh, nicht?»
    Lewis griente. «Da ist der Chef
aber ganz anderer Meinung.» Er fühlte sich erleichtert. Konversation war nicht
seine starke Seite, und obwohl sie ein nettes Mädchen zu sein schien, war er
doch froh, jetzt seine eigenen Sachen erledigen zu können.
    «Sie mögen ihn sehr, nicht
wahr, den , meine ich?» —
    «Er ist der beste.»
    «Ach, wirklich?»
    «Gehen Sie heute abend hin?»
    «Ich denke schon. Und Sie?»
    «Wenn ich bis dahin fündig
werde — aber ich habe da so meine Zweifel.»
    «Lassen Sie sich nicht
entmutigen. Man kann nie wissen.»

Kapitel 21
     
    Hure:
Von der Wiege bis zur Bahre,
    zuerst
die Wäsche!
     
    Bertolt
Brecht, Die Dreigroschenoper
     
     
    In den späten Achtzigern hatte
man begonnen, das Polizeipräsidium in St. Aldates gründlich zu renovieren
beziehungsweise zu erweitern, und die Arbeiten dort dauerten noch immer an, wie
Sergeant Lewis, als er an diesem Samstagmorgen in die Eingangshalle trat,
unschwer feststellen konnte. Bei der Polizei achtete man wie eh und je auf die
Einhaltung hierarchischer Strukturen, und so entwickelten sich Bekanntschaften
zwischen höheren Beamten und niedrigeren Rängen kaum je zu Freundschaften.
Trotzdem wußte Lewis, daß er auf Chief Superintendent Bell, den er noch aus
seiner Zeit in Kidlington kannte, rechnen konnte, und war froh, ihn an diesem
Morgen im Präsidium anzutreffen.
    Ja, natürlich würde er ihm
helfen, wenn das in seiner Macht stünde, erklärte Bell sofort. Und im übrigen
sei der Zeitpunkt seines Besuchs glücklich gewählt, weil gerade jetzt eine
Menge Ecken und Winkel ausgeräumt worden seien und der Inhalt unzähliger
Schränke und staubbedeckter Kisten und Kästen zum erstenmal seit
Menschengedenken wieder ans Tageslicht befördert worden sei. Beils Anordnungen
angesichts der Fülle von Dokumenten und Dingen, die da ausgegraben worden
waren, waren eindeutig gewesen. Alles, was irgendwie als wichtig angesehen
wurde, sollte aufgehoben, das übrige weggeworfen werden. Eigenartigerweise
hatte es bis jetzt bei fast allen Dingen, die man wieder entdeckt hatte,
irgendeinen gegeben, der dafür plädiert hatte, es aufzuheben, und das
Endergebnis war gewesen, daß man einen Raum zur Verfügung stellen mußte, in dem
die Relikte aus vergangenen Zeiten — die frühesten datierten aus den 1850ern —
so lange aufbewahrt werden sollten, bis Historiker, Soziologen, Kriminologen,
an Lokalgeschichte Interessierte und nicht zuletzt Schriftsteller über ihren
Wert oder Unwert befunden hatten. Im Moment, so glaubte Bell, sei wohl ein
weiblicher Constable gerade dabei, eine Art vorläufiger Bestandsaufnahme zu
versuchen, wenn Lewis sich also umsehen wolle...
     
     
    Bell hatte recht vermutet.
Constable Wright, eine hübsche Brünette von Mitte Zwanzig, hatte jedoch, wie
sie erklärte, gerade Mittagspause, und so lud sie Lewis, nachdem er sein
Anliegen vorgetragen hatte, mit einer großzügigen Armbewegung ein, sich anzusehen,
was er wolle.
    «Möchten Sie nicht vielleicht
den ganzen Krempel gleich mitnehmen?» fragte sie mit gespielter Hoffnung und
wandte sich gleich darauf wieder einem Stapel Weihnachtskarten zu, die sie noch
während der Pause zu Ende schreiben wollte.
    Lewis konnte ihren Wunsch
verstehen. Morse hatte ihm Denistons Buch mitgegeben (auf der Station waren
mehrere Exemplare im Umlauf gewesen), aber im ersten Augenblick vermochte Lewis
unter dieser Anhäufung von Kisten und Kästen, Aktenordnern und Bergen von gelb gewordenen,
zerknitterten Dokumenten mit Eselsohren nichts zu entdecken, das mit den
Ereignissen des Jahres 1859 in irgendeiner Beziehung hätte stehen können. Beim
zweiten Hinsehen erkannte er immerhin, daß offenbar tatsächlich schon ein
erster Versuch unternommen worden war, das Chaos zu lichten: An die fünfzig
Aktenordner waren in einer Ecke separiert, mit einem Datumsaufkleber versehen
und in chronologischer Reihenfolge aufgestellt worden. Die Jahre 1859 und 1860
waren aber nicht ‘ dabei. Lohnte es sich überhaupt, das übrige noch
durchzuforsten?
     
     
    Es war Viertel vor zwei, als
sich Lewis’ Hauptcharakterzug, seine Gründlichkeit, wieder einmal auszahlte. Er
pfiff leise durch die Zähne.
    «Haben Sie etwas gefunden?»
erkundigte sich Constable Wright neugierig.
    «Wissen Sie, wie das
hierhergekommen ist?» antwortete Lewis mit einer Gegenfrage und hob aus einem
der großen

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