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Mord am Oxford-Kanal

Mord am Oxford-Kanal

Titel: Mord am Oxford-Kanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Schwester Macleans blasse Wangen vor Schamröte, und eine der
Lernschwestern konnte angesichts der Verlegenheit des Drachen ein Lächeln des
Entzückens kaum unterdrücken. Doch die andere der beiden, die schöne Fiona,
nahm seltsamerweise plötzlich die Züge und die Farbe in dem Gesicht wahr, die
es fast hätten schön machen können.
     
    «Er scheint nicht so viel zu trinken, oder?» bemerkte der junge Arzt und ließ seine Blicke über die
umfangreichen Notizen gleiten, von denen er die meisten verfaßt hatte.
    Der Facharzt schnaubte
verächtlich. «Unsinn!» Er schnipste mit dem Finger gegen die anstößigen
Papiere. «Verdammter Lügner, oder etwa nicht? Säufer und Diabetiker!» Er wandte
sich an den jungen Arzt «Ich habe Ihnen das bereits gesagt, denke ich!»
    Es war ganz unverzeihlich, daß
für ein paar Sekunden der Hauch eines Lächelns um Schwester Macleans Lippen
spielte, während ihre Wangen wieder ihre gewohnte Blässe annahmen.
    «Er ist kein Diabetiker...»
fing der junge Arzt an.
    «Ich gebe ihm noch zwei Jahre!»
    «Trotzdem, er ist auf dem Weg
der Besserung» beharrte der junge Arzt. Er wollte sich diesen Erfolg, der nicht
zuletzt seinen Bemühungen zu verdanken war, nicht auf so ungerechte Weise
schmälern lassen.
    «Ja. Er hat unerhört Glück
gehabt. Ich hatte eigentlich angenommen, wir müßten ihm seine Eingeweide
drastisch reduzieren.»
    «Er muß wohl im Grunde eine
sehr robuste Konstitution haben», kommentierte die Oberschwester mit gewohnter
Autorität.
    «Vermutlich», knurrte der
Oberarzt mißvergnügt, um ein wenig giftig hinzuzufügen, «abgesehen mal von
seinem Magen, seinen Lungen, seinen Nieren und seiner Leber — der ganz
besonders. Aber, wer weiß, vielleicht schafft er es noch bis zum Sechzigsten,
wenn er sich an unsere Anweisungen hält, was ich allerdings, ehrlich gesagt,
sehr bezweifle.»
    «Sollen wir ihn noch ein paar
Tage dabehalten?»
    Nach kurzem Überlegen
schüttelte der Oberarzt den Kopf. «Nein, schicken Sie ihn nach Hause. Seine
Frau wird ihn dort genauso gut pflegen können wie wir hier, vielleicht sogar
noch besser. Er soll die Tabletten wie bisher weiternehmen und sich in zwei Wochen
wieder bei mir vorstellen.»
    Eileen Stanton kam nicht mehr
dazu, den Oberarzt bezüglich seines Irrtums, was Morses häusliche Verhältnisse
anging, zu korrigieren, weil in diesem Augenblick eine junge Schwester
aufgeregt in das Zimmer gestürmt kam. «Tut mir leid, daß ich stören muß. Aber
wir haben, glaube ich, einen Herzstillstand... Einer der Neuzugänge.»
     
     
    «Ist er tot?» wollte Morse
wissen.
    Eileen, die ein paar Minuten
Zeit hatte und auf seinem Bettrand saß, nickte traurig. Es war früher
Nachmittag.
    «Wie alt ist er gewesen?»
    «Ich weiß nicht genau, ein
bißchen jünger als Sie, glaube ich.» Sie wirkte niedergeschlagen. «Vielleicht,
wenn wir uns intensiver um ihn gekümmert hätten...»
    «Sie sehen so aus, als könnten
Sie es im Moment selbst ganz gut gebrauchen, wenn sich jemand um Sie kümmerte»,
bemerkte Morse mit jener Hellsichtigkeit, die ihm manchmal zu eigen war.
    «Ja, stimmt.» Sie blickte ihn
an und bemühte sich, ein Lächeln zustande zu bringen, entschlossen, ihre trübe
Stimmung abzuschütteln. «Und Sie werden sich ab morgen auch wieder selbst um
sich kümmern müssen», sagte sie, mit Bedauern in der Stimme. «Wir setzen Sie
nämlich vor die Tür, wir haben genug von Ihnen.»
    «Sie meinen, ich werde morgen
entlassen?» Morse wußte nicht recht, ob das nun eine gute oder eine schlechte
Nachricht war. Sie nahm ihm die Entscheidung ab.
    «Das ist eine gute Nachricht,
oder?»
    «Sie werden mir fehlen.»
    «Ja, vielleicht...» Morse sah,
wie ihr die Tränen in die Augen stiegen.
    «Warum erzählen Sie mir nicht
einfach, was los ist?» fragte er leise. Und sie erzählte es ihm. Wie großzügig
sich das Krankenhaus verhalten hätte, und insbesondere auch die Oberschwester,
als sie sie gebeten hätte, die Schicht wechseln zu dürfen, und wie sie sich so
auf die Party gefreut hätte und wie hinterher alles so enttäuschend verlaufen
sei... Die Tränen rollten ihr die Wangen hinunter, und sie wandte ihr Gesicht
ab und suchte mit ihrer Rechten nach einem Taschentuch. Morse schob ihr sanft
sein eigenes, schmuddeliges Tuch in die Hand, und für einen Augenblick saßen
beide ganz still.
    «Ich will Ihnen etwas sagen»,
begann er schließlich, «eigentlich ist das doch sehr schmeichelhaft, daß sich
zwei Männer wegen Ihnen geprügelt

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