Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord am Oxford-Kanal

Mord am Oxford-Kanal

Titel: Mord am Oxford-Kanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
haben.»
    «Nein, ist es nicht!» Sie
begann wieder zu weinen.
    Morse seufzte. «Ja, vielleicht
haben Sie recht. Aber eines will ich Ihnen sagen. Es wird Sie vielleicht nicht
freuen, vielleicht sogar eher das Gegenteil, aber wenn ich auf der Party
gewesen wäre und hätte die beiden sich wegen Ihnen streiten sehen, dann hätte
ich mich auch noch eingemischt, und dann hätten sich nicht nur zwei Männer
wegen Ihnen geprügelt, sondern gleich drei!»
    Sie lächelte und wischte sich
die Tränen ab. Es ging ihr schon wieder besser. «Die beiden sind aber große,
stämmige Kerle. Und der eine von ihnen hat seit Jahren Karate-Unterricht!»
    «Na schön, dann hätte ich eben
verloren. Aber gekämpft hätte ich trotzdem. Erinnern Sie sich, es gibt da so
ein Gedicht: hm» (Morses
eigene Erinnerung war offenbar nur höchst unzulänglich).
    Sie beugte sich zu ihm
hinunter, so daß ihr Gesicht dicht vor seinem war, und sah ihm direkt in die
Augen. «Es hätte mir überhaupt nichts ausgemacht, wenn Sie verloren hätten,
vorausgesetzt, daß ich Sie hinterher hätte pflegen dürfen», flüsterte sie
leise.
    «Aber das haben Sie ja sowieso
getan», sagte Morse, «und noch einmal vielen Dank dafür.»
    Sie stand auf, lächelte ihn ein
wenig traurig an und ging. Morse spürte einen Stich des Bedauerns.
     
     
     

Kapitel 29
     
    Ich
glaube, es grämt die Heiligen im Himmel, zu sehen
    Wie
viele einsame Menschen auf der Erde
    Trost
und Beistand erst im Krankenhaus erfahren haben
     
    Elizabeth
Barrett Browning, Aurora Leigh
     
     
    Das Ende jeder Reise ebenso wie
der Wechsel eines Ortes sind immer mit unerklärlicher Trauer verbunden. Ob
diese Trauer dem unbewußten Gedanken an die letzte Reise geschuldet ist, die
wir alle einmal antreten müssen, oder ob es einfach Abschiede an sich sind, die
uns traurig stimmen, wollen wir hier nicht entscheiden. Morse jedenfalls
empfand bei der Nachricht, daß er wieder nach Hause durfte, eine Mischung aus
Freude und Wehmut. Aber zu Hause würde er doch endlich wieder seine geliebte
Musik hören können? Ja, das stimmte. Bald würde er wieder hingerissen Wotans
Abschied im letzten Akt der Walküre lauschen und eine seiner
Puccini-Platten, mit Pavarotti in der Hauptrolle, auf volle Lautstärke drehen —
zumindest am Vormittag, wenn seine Nachbarn aus dem Haus waren, um ihrer
verantwortungsvollen Tätigkeit bei Oxfam nachzugehen. Und dann hatte er
natürlich auch noch seine Bücher. Er vertraute darauf, daß die Nachbarn wie
auch sonst immer, wenn er abwesend war, ein Auge auf seine Wohnung gehabt
hatten, und er seine Erstausgabe von A Shrophire Lad (1896) noch im
Bücherregal vorfinden würde, einen schmalen weißen Band, ohne
Extra-Schutzumschlag, den Morse bei sich in sentimentalen Momenten bisweilen
mit einem Prinz königlichen Geblüts ohne Leibwache verglich. Ja, es hatte
durchaus auch sein Gutes, wieder nach Hause zu kommen: Er konnte hören, lesen,
essen und trinken, was er wollte. Letzteres allerdings nur in Maßen. Und doch
würde er, das wußte er jetzt schon, auch etwas vermissen. Die Schwestern würden
ihm fehlen und die Mitpatienten, die Besucher natürlich, aber auch die
Regelmäßigkeit, aber irgendwie auch das ganze Krankenhaus mit allen seinen
Vorzügen und Schwächen, das ihn, als er schwer krank gewesen war, aufgenommen
hatte und ihn nun vergleichsweise gesund wieder entließ.
    Der tatsächliche Abschied von
der Station 7 C war dann allerdings eher kurz und schmerzlos. Als die Nachricht
kam — kein Hörnerblasen, sondern ganz prosaisch ein Telefonanruf —, daß er sich
fertigmachen solle, ein Ambulanzwagen stünde bereit, ihn zusammen mit anderen
Entlassenen nach Nordoxford zu fahren, hatte er kaum noch Zeit und Gelegenheit,
allen auf Wiedersehen zu sagen. «Waggie» war gerade im Waschraum — er hatte
heute nach seiner Operation zum erstenmal allein aufstehen dürfen ein zweiter
Mitpatient schien fest zu schlafen, ein dritter war vor wenigen Minuten zum
Röntgen abgeholt worden, und der junge Mann, der immer seine Kochsalzinfusion
herumtrug, schien ganz vertieft in das Blaue Billett (er mußte es aus
dem Papierkorb geholt haben!), und Morse konnte sich gut vorstellen, daß er
nicht gestört werden wollte. Bei einem weiteren Mitpatienten schließlich waren
seit Stunden die Vorhänge um das Bett geschlossen, so daß Morse annahm, daß er
im Sterben lag, wenn er nicht vielleicht sogar schon tot war. Was die
Schwestern anging, so

Weitere Kostenlose Bücher