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Mord am Oxford-Kanal

Mord am Oxford-Kanal

Titel: Mord am Oxford-Kanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Material, weniger elegant geschnitten und ein
wenig länger.
    «Hast du auch an das
Taschentuch gedacht?» Schnell griff sie in die rechte Tasche des Mantels, den
sie eben getragen hatte, und zog ein kleines, weißes, quadratisches Tüchlein
hervor, das mit Spitze gesäumt war und in einer seiner Ecken die in rosa Seide
gestickten Initialen «J. F.» trug.
    Ein irreführendes Detail mehr.
    «Sie ist... ist sie da drin?»
Joanna deutete mit dem Kopf in Richtung Planwagen. Ihre Stimme klang zum
erstenmal nervös und unerwartet rauh.
    Er nickte einmal kurz, die
schmalen Augen funkelten hell in dem dunkel verschatteten Gesicht.
    «Ich will sie nicht sehen.»
    «Das ist auch nicht nötig.» Er
nahm ihr die Laterne aus der Hand und hielt sie, nachdem sie vorne auf den
Wagen geklettert waren, über eine von Hand gezeichnete Ortsskizze. Mit dem
rechten Zeigefinger deutete er auf eine Brücke, die ungefähr dreihundertfünfzig
Meter nördlich der Schleuse von Shuttleworth über den Kanal führte. «Wir fahren
jetzt bis — hier! Du wartest dort, bis sie dich eingeholt haben, verstanden?
Dann gehst du zurück an Bord. Und wenn ihr die Schleuse passiert habt — aber
erst hinterher! — , dann...»
    «Wie wir es abgesprochen
haben!»
    «Ja. Du wartest einen
unbeobachteten Moment ab und springst ins Wasser. Du kannst so lange drin
bleiben, wie du willst, aber paß auf, daß dich niemand sieht, wenn du
herauskletterst. Der Wagen steht an der Brücke. Du legst dich hinein und
verhältst dich ganz ruhig. Ich werde so schnell, wie ich kann, wieder bei dir
sein...»
    Joanna zog das Messer aus der
Rocktasche. «Soll ich es tun?»
    «Nein!» Er nahm ihr das Messer
rasch aus der Hand.
    «Nein?»
    «Es ist nur...» begann er, «ihr
Gesicht, weißt du, ihr Gesicht ist ganz schwarz geworden!»
    «Ich dachte immer, Tote sähen
eher weiß aus», flüsterte Joanna.
    Der Mann zuckte die Achseln,
nahm die Laterne und kletterte nach hinten in den Wagen. Dort stellte er sie so
ab, daß das Gesicht der Toten im Schatten büeb, dann hob er ihren Rock, und mit
einer einzigen, geschickten Bewegung machte er einen ungefähr zwölf Zentimeter
langen Schnitt in die Vorderseite ihres Baumwollschlüpfers.
    Er kehrte nach vorne zu Joanna
zurück und händigte ihr zwei Flaschen dunklen Ales aus, als er plötzlich an der
Schulter gerüttelt wurde...
    «Möchten Sie etwas Suppe, Mr.
Morse?»
    Es war Violet.

Kapitel 28
     
    Wir
leben in einem System von Lügen. Der eine Weg hinaus heißt Alkohol, der andere
Tod.
     
    Tennessee
Williams, Die Katze auf dem heißen Blechdach
     
     
    Auf allen Stationen des
John-Radcliffe-Krankenhauses gab es die Einrichtung des sogenannten Berichts,
einem Treffen der Ärzte und des Pflegepersonals jeweils am Übergang von der Früh-
zur Spätschicht und von dieser zur Nachtschicht. Auf manchen Stationen konnten
die leitenden Ärzte es sich leisten, an den Wochenenden zu verschwinden und
sich mit ihren BMWs oder Yachten zu vergnügen, doch auf der zur Hälfte mit
chirurgischen Fällen belegten Station 7 C fanden die «Berichte» ohne
Unterbrechung täglich statt. So auch am heutigen Sonntag, dem zweiten, den
Morse nun schon im Krankenhaus verbrachte.
    Zu diesem Treffen um dreizehn
Uhr waren diesmal sogar besonders viele Mitarbeiter gekommen: der Oberarzt, ein
junger Medizinalassistent, Oberschwester Maclean, Stationsschwester Stanton und
zwei Lernschwestern. Sie alle drängten sich in dem Zimmer der Oberschwester und
sprachen jeden der Fälle einzeln durch, erörterten die Medikation und die weitere
Prognose, diskutierten die Ursachen von Rückfällen und konstatierten befriedigt
einsetzende Heilungsprozesse.
    Der Chief Inspector war einer
der letzten Fälle, die besprochen wurden, denn man war allgemein der Meinung,
er sei inzwischen über dem Berg.
    «Morse!» Der Oberarzt
schüttelte leicht den Kopf, während er die Krankenakte in Empfang nahm.
    «Seine Genesung macht wirklich
gute Fortschritte», bemerkte die Oberschwester ungefragt in dem verteidigenden
Tonfall einer Mutter, die auf dem Elternabend soeben erfahren hat, daß die
Arbeitshaltung ihres Sprößlings zu wünschen übrigläßt.
    «Ich bin immer in Versuchung»,
sagte der Oberarzt, während er ihr die Akte zurückgab, «diese Trinker zu
fragen, warum sie es nicht ganz einfach mal mit Wasser versuchen — Wasser ist
eine wundervolle Sache... Ich würde natürlich nicht versuchen, Schwester, Sie
zu überzeugen, aber...»
    Eine oder zwei Minuten lang
glühten

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