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Mord am Vesuv

Mord am Vesuv

Titel: Mord am Vesuv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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dort noch ein großes Feuer gebrannt. Dabei ist bereits später Nachmittag, und Apollo wird eigentlich immer nur morgens und abends geopfert, nämlich zum Sonnenaufgang und zum Sonnenuntergang.«

    »Genau«, bestätigte Julia. »Nur während einer Sonnen- oder Mondfinsternis werden Apollo auch am Nachmittag Opfer dargebracht, und soweit ich weiß, gab es heute weder das eine noch das andere. Was also haben sie dort in aller Eile verbrannt?«
    »Ich bitte Hermes, die Asche zu untersuchen. Vielleicht ist ja etwas übrig geblieben. Jetzt lass uns mal einen Blick auf diese Schriftrolle werfen.«
    Wir steuerten einen der kleineren Fischteiche an und ließen uns auf der Brüstung nieder. Die fetten Teichbewohner schwammen in der Hoffnung auf Futter an den Rand, drehten aber enttäuscht wieder ab und setzten ihre endlosen Bahnen um die in der Mitte des Teiches thronende Neptunstatue fort.
    Julia öffnete das Band und entrollte das Schriftstück. Es war aus bestem ägyptischem Papyrus und mit einem Griffel aus Schilfrohr beschrieben, der in rote Tinte von exzellenter Qualität getaucht worden war. Der Text war in griechischer Sprache verfasst, das Schriftbild präzise. Ich las ein paar der kurzzeiligen Verse und sah Julia an, um zu prüfen, ob sie rot wurde. Doch ihre Gesichtsfarbe veränderte sich nicht, für eine solche Reaktion war sie einfach zu kultiviert.
    »Derart erotische Lyrik hat seit Sappho niemand mehr hervorgebracht«, stellte sie fest.
    Ich runzelte die Stirn und tat so, als würde ich mir den Kopf zerbrechen. »Mag sein, aber warum, bitte schön, sollte jemand den Huf einer Geiß lecken wollen?«
    »Wie du sehr wohl weißt«, erwiderte sie, »wird der Huf einer Geiß in erotischen Gedichten traditionell als Symbol für die weiblichen Genitalien verwendet. All die anderen verwendeten Symbole stehen für nichts anderes, allerdings sind es für meinen Geschmack zu viele. Aber die Verse sind wirklich exzellent.«
    »Glaubst du, es ist ein Original? Oder haben wir es mit einer Abschrift aus dem Werk eines bekannten Lyrikers zu tun?«
    »Ich kenne das Gedicht zwar nicht, aber es erinnert mich an den Stil der Korinther.«
    »Es ist an eine gewisse Briseis gerichtet.«
    »Das ist nicht weiter verwunderlich. Bei dieser Art von Gedichten ist es üblich, seine Geliebte mit einem Pseudonym anzusprechen. Denk nur an Catull - dass seine Lesbia in Wirklichkeit Ciodia war, weiß doch jeder.«
    »Aber du hast die Schriftrolle im Raum der Sklavinnen gefunden«, wandte ich ein. »Kannst du dir vorstellen, dass das Gedicht einer von ihnen galt? Immerhin sind alle drei ziemlich attraktiv. Vielleicht hat ja irgendein Bursche aus der Gegend einer von ihnen den Hof gemacht.«
    »Sei nicht so begriffsstutzig, Liebster. Hast du vergessen, wer Briseis war?«
    »Doch natürlich, jetzt fällt es mir ein.« Briseis war die Kriegsgefangene in der Ilias, die Agamemnon entführt und Achill weggenommen hat, wodurch eine Lawine von Ereignissen ins Rollen kam, die mit der Bestattung Hektors endete.
    Briseis war die Tochter eines Apollopriesters.

V
    Am Abend nahmen wir an der Bestattungszeremonie zu Ehren von Dio-cles' Tochter Gorgo teil. Die Flammen der frisch entzündeten Fackeln flackerten unruhig im Wind, vom Meer kam eine Brise auf. Das Grab der Familie befand sich an der nach Baiae führenden Straße, etwa eine Meile von dem Tempel entfernt. Neben der üblichen Lokalprominenz waren etliche Mitglieder der ansässigen griechischen Gemeinde gekommen.
    Nach griechischer Sitte ist es nicht üblich - und nach römischer genauso wenig -, Frauen mit einer großartigen Zeremonie zu bestatten, schon gar nicht, wenn sie unverheiratet sind und noch keine Kinder geboren haben. Dennoch war es eine würdevolle, wenn auch schlichte Zeremonie, und ich fand sie viel angenehmer als die sonst üblichen bombastischen Bestattungsfeiern. Das leise Schluchzen der Sklavinnen war dem hysterischen Gejammer von gemieteten professionellen Klageweibern tausendmal vorzuziehen. Die Sklavinnen schienen wirklich um Gorgo zu trauern.
    Die Lobrede zu Ehren der Toten wurde selbstverständlich von Diocles gehalten. Er pries seine Tochter als ein tugendhaftes, untadeliges Mädchen, das niemals Anlass für Tratsch gegeben und auch nie das Missfallen seines Vaters erregt hatte - die Mutter war offenbar schon lange tot - und das daher zu Recht den Namen der berühmten spartanischen Königin getragen habe und so weiter und so fort. Es war eine konventionelle Ansprache, aber so

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