Mord am Vesuv
dem jungen Numider mit einer anständigen Kostprobe römischer gravitas vor Augen zu führen, wer hier das Sagen hatte. Ich stellte mich in Positur und glättete mit großer Geste die Falten meiner Toga. »Damit wir uns richtig verstehen, Gelon - ich schenke dir außergewöhnlich viel Beachtung, und das tue ich nur, weil ich diesen Fall für außergewöhnlich halte. Unsere Regelung lautet wie folgt:
Innerhalb der Villa Hortensia darfst du dich frei bewegen.
Allerdings wirst du zu jeder Tages- und Nachtzeit überwacht.
Solltest du versuchen zu fliehen, werte ich das als Eingeständnis deiner Schuld. Du bekommst eine öffentliche Verhandlung, in der ein Anwalt die Anklage und ein anderer die Verteidigung übernimmt. Über deine Schuld oder Unschuld entscheiden allein die Geschworenen. Als Praetor werde ich selber die Verhandlung leiten und das Strafmaß festlegen, wenn die Geschworenen dich für schuldig befinden sollten.«
»Aber ich habe doch gar nichts …«
»Solltest du schuldig gesprochen werden«, fuhr ich unbeirrt fort, »werden einige deine Kreuzigung fordern. Römische Bürger dürfen nicht gekreuzigt werden, aber für Sklaven und Ausländer gilt dieses Gesetz bekanntermaßen nicht. Ich kann dir nur eins versprechen - wenn du für schuldig befunden wirst, werde ich dir den Tod durch Kreuzigung ersparen. Auch vor den Löwen oder einem anderen entwürdigender Tod werde ich dich bewahren. Eine schnelle Enthauptung sollte genügen. Hast du mich verstanden?«
Er musste schwer schlucken. »Ja. Danke, Praetor.«
»Gut. Ich gehe jetzt und kümmere mich darum, dass in Baiae wieder Ruhe und Ordnung einkehren. In Rom mögen Aufruhr und Chaos an der Tagesordnung sein - in den Munizipien und Provinzen jedoch können wir keine Unruhen dulden.«
Ich ließ ihn zurück wie ein Häufchen Elend und ging nach draußen, wo mich Julia erwartete.
»Ich dachte, du seist jetzt Praetor«, kritisierte sie mich.
»Warum gebärdest du dich dann, als wärst du sein Verteidiger?«
»Weil ich nicht glaube, dass der Junge die Priestertochter ermordet hat.«
»Ob er es getan hat oder nicht - es ist nicht deine Aufgabe, das herauszufinden. Du bist allein dafür zuständig, die Verhandlung zu leiten.«
»Aber ich weiß nun mal gern, ob man mich belügt«, versuchte ich mich zu rechtfertigen. »Und je mehr ich in Erfahrung bringe, desto eher bin ich imstande, das zu erkennen.«
»Du bist und bleibst ein Schnüffler«, stellte sie fest. »Ich selbst übrigens auch, deshalb habe ich gelauscht, als du den Jungen verhört hast. Ist dir aufgefallen, dass er gesagt hat ›Du kannst doch nicht im Ernst glauben, dass ich eine Frau töten würde, die ich liebe‹ - und nicht die Frau, die ich liebe?«
»Ja. Das ist mir auch aufgefallen. Aber das muss nichts bedeuten. Immerhin wissen wir, dass sein Vater mindestens zwei Frauen hat, vielleicht sogar noch mehr. Wieso sollte der Sohn seine Gefühle da auf eine einzige Frau beschränken?«
»Dann ist er wohl einfach so wie alle Männer«, stellte Julia lest. »Wie willst du weiter vorgehen?«
»Hättest du Lust, dem Tempel des Apollo einen Besuch abzustatten?«
»Warum nicht? Vermutlich hast du ja nicht vor, ein Opfer darzubringen, oder?«
»Nein. Ich will Gorgos Gemächer durchsuchen, bevor irgendjemand auf die Idee kommt, Beweismittel verschwinden zu lassen.«
Julia grinste. »Eine prima Idee. Komm, gehen wir!«
Wir schlenderten Arm in Arm über die stilvoll angelegten Gartenwege zu dem schönen, kleinen Tempel. Die Sklaven waren gerade dabei, zum Zeichen der Trauer schwarze Kränze niederzulegen. Auf dem Altar schwelten die Überreste eines mit harzigem Holz gespeisten Feuers, aus dessen knisternder Glut hin und wieder noch Flammen emporzüngelten. Der Anblick hatte durchaus Ähnlichkeit mit einer Miniaturausgabe des sich in der Ferne hinter dem Tempel erhebenden, Feuer und Qualm speienden Vesuvs.
Während wir die Treppe hinaufstiegen, eilte ein Sklave ins Innere des Tempels. Kurz darauf erschien Diocles, der Priester.
Er wirkte verhärmt, aber würdevoll. »Praetor, verehrte Dame - willkommen im Tempel des Apollo.«
»Wir sind gekommen, um deiner Tochter unsere Ehre zu erweisen«, begrüßte ich ihn.
»Das ist sehr aufmerksam von euch«, entgegnete er und verbeugte sich. »Ich fühle mich geehrt, und meine Tochter ebenfalls.«
Wir warfen eine Handvoll Weihrauch ins Feuer und betraten den Tempel. Gorgo lag zu Füßen der Apollostatue auf einer einfachen Liege und war mit einem
Weitere Kostenlose Bücher