Mord am Vesuv
ich.
»Natürlich«, erwiderte er.
»Ein freier Mann brüstet sich nicht mit seiner Einbrecherkunst«, wies Julia ihn zurecht.
»Sagt diejenige, die gerade erst eine Papyrusrolle mit einem Gedicht hat mitgehen lassen«, kommentierte ich ihre Ermahnung. »Also, Hermes, was hast du gefunden?«
»Als Erstes das hier«, sagte er und warf mir ein kleines Bündel zu. Es enthielt etwas Hartes, das zwischen meinen Fingern ein wenig nachgab, als ich es auffing. Es war ein kleines Täschchen aus purpurner Seide. Was auch immer es enthielt, es war schon für sich genommen ein kleines Vermögen wert. Ich öffnete das Verschlussbändchen und ließ mir den Inhalt in die Hand gleiten. Als Julia sah, was in meiner Hand lag, schnappte sie nach Luft und riss es mir aus den Fingern.
Es war eine Halskette, die aus etwa zwanzig rautenförmigen Teilen aus purem Gold zusammengesetzt war, jedes Einzelne so dick wie Julias Daumen und jedes mit einem fingernagelgroßen Smaragd verziert, in den das Bildnis eines Gottes oder einer Göttin eingearbeitet war.
»Das ist ja sagenhaft!«, rief Julia. »Du hast mir noch nie so ein kostbares Schmuckstück geschenkt.«
»Ich bin auch nie so reich gewesen, dass ich es mir hätte leisten können«, erinnerte ich sie. »Aber hier in der Gegend haben wir ja schon mehrere Frauen gesehen, die sich mit so kostbaren Klunkern behängt haben. Wenn Gorgo das tatsächlich von Gelon bekommen haben sollte, ist sein Vater wesentlich großzügiger, als mein Vater je gewesen war.«
»Wie es aussieht, hat das Mädchen sich bestimmt nicht nur darauf beschränkt, den Tempel in Ordnung zu halten«, stellte Julia fest. »Da muss noch etwas anderes gewesen sein.« Sie streichelte liebevoll die Kette. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Jetzt würde sie natürlich auch so ein sündhaft teures Schmuckstück haben wollen.
»Also gut«, wandte ich mich wieder an Hermes. »Dieser Glitzerkram ist bestimmt nicht für deinen finsteren Gesichtsausdruck verantwortlich. Was hast du noch gefunden?«
»Ich dachte, ich wäre allein in dem Haus«, erwiderte Hermes, »doch als ich mich gerade wieder davonmachen wollte, hörte ich auf einmal ein leises Wimmern. Da es ganz und gar nicht so klang wie ein Trauerschluchzen um die tote Tochter des Priesters, bin ich dem Gewimmer nachgegangen. Es kam aus einer kleinen Arrestzelle, die neben dem Pferch für die Opfertiere liegt.«
»Wahrscheinlich musstest du nur einen kurzen Blick hineinwerfen, um zu wissen, was los war«, sagte Julia.
»In der Tür ist ein kleines Fenster«, fuhr Hermes fort. »Da es drinnen ziemlich dunkel war, brauchte ich eine Weile, bis ich etwas erkennen konnte, aber dann sah ich, dass Charmian dort eingesperrt war. Und sie hatte allen Grund so zu wimmern, denn sie war heftig ausgepeitscht worden und übel zugerichtet. Die Striemen ziehen sich vom Hals bis zu den Fersen, sie sieht aus wie ein Zebra. Und sie wurde nicht etwa mit einer Rute gezüchtigt oder einem flagellum, sie wurde mit einem flagrum so zerschunden.« Er meinte die gefürchtete vielriemige Peitsche, die zur Verstärkung der Schlagwirkung mit zahllosen kleinen Knochen oder Bronzestückchen versehen ist.
»Na ja«, sagte Julia. »Eurer Beschreibung nach ist diese Charmian ja ein ziemlich vorwitziges Geschöpf, und solche Mädchen fallen nun einmal leicht in Ungnade. Außerdem hat der Priester allen Grund, sich über sie zu ärgern. Er dürfte ihr die Schuld dafür geben, dass Gorgo sich in der Mordnacht unbegleitet herumgetrieben hat.«
»Aber warum hat er sich ausgerechnet Charmian vorgeknöpft?«, fragte ich. »Warum nicht auch die anderen beiden, Leto und Gaia? Erzähl weiter, Hermes!«
»Ich rief ihren Namen«, fuhr Hermes fort. »Erst reagierte sie nicht, doch schließlich sah sie auf. Ihr Gesicht war so geschwollen, dass sie kaum wiederzuerkennen war. Ich fragte sie, wofür sie so schlimm bestraft worden sei, doch sie schien unfähig, ein Wort herauszubringen. Schließlich schaffte sie es doch und sagte ›Ich rede nur mit dem Praetor, sonst mit nie-mandem‹. Dann sank ihr der Kopf auf die Brust, und ich glaube, sie verlor das Bewusstsein. Genau konnte ich das nicht mehr feststellen, denn ich hatte mich schon lange genug in dem Haus aufgehalten.«
Das war also der Grund für seine Verbitterung. Als ehemaliger Sklave fühlte er mit dem bedauernswerten Mädchen, auch wenn er selber seinen jeweiligen Herren sicher mehr Kummer bereitet hatte als diese ihm.
»Ich muss etwas unternehmen«,
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