Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
über den Gang davon. Ich wartete, den Fuß in der schweren Eisentür. Komm wieder, dachte ich, komm schon! Es muß mich doch hier niemand sehen!
Und da kam sie angedackelt. Sie hatte die Videokamera dabei! Na los! Im Rennen drückte sie mir einen Umschlag in die Hand. »Hier, Kindchen. Das wollte ich Ihnen schon die ganze Zeit geben.«
Wir liefen die Eisentreppen hinab. Wo WAR hier noch mal der verdammte Tiefkühlraum?!
Aaah, da kamen die Filipinos zurück.
»Kommen Sie!« Wir folgten den fleißigen Männern wie zwei flatternde Hühner. Frau Teichhuhn war sichtlich erfreut über dieses ungewöhnliche Abenteuer.
Die beiden öffneten die schwere Tür, hinter der nur weißer, dichter Stickstoffnebel qualmte.
»Schnell«, sagte ich. »Vielleicht können Sie da drinnen filmen!«
Ich zog sie am Ärmel ihres Bademantels durch die offenstehende Tür.
»Aber leise! Bestimmt ist das hier verboten«, zischte ich.
Drinnen war es so nebelig, daß die zwei Filipinos uns gar nicht bemerkten. Sie wuchteten mit aller Kraft den Eisblock auf ihren Lastkarren, mit Hilfe von dicken Handschuhen, Schnüren und Seilen.
Frau Teichhuhn friemelte an ihrer Videokamera herum. »Damit haben wir schon die schönsten ... kompliziertesten ... Aufnahmen gemacht! Die ist ausgestattet mit einer Nacht-und-Nebel-Linse ... ich muß die nur gerade einstellen ...« Nun stand sie direkt vor der Wanne.
Sie konzentrierte sich auf ihre Kamera.
In dem Moment versetzte ich ihr einen Stoß.
Sie stolperte, schrie auf, die Filipinos ließen gerade die Tür hinter sich ins Schloß fallen, ich wußte, zehn Sekunden würde ich es hier drinnen noch aushalten ... Frau Teichhuhn fiel wie geplant genau in die leere Zinkwanne hinein, aus der die Jungs gerade den Eisblock gestemmt hatten. Ich griff nach dem Wasserschlauch.
Pschschschschschscht! Volle Dröhnung Prasselstrahl!
Es dampfte vor Kälte. Die Wanne war voll. Ich schlotterte! Meine Hände waren starr vor Frost. Die Fingernägel liefen blau an. Frau Teichhuhn lag bäuchlings im Eiswasser. Sie erstarrte bereits. Nix wie raus! Ich warf mich mit voller Wucht gegen die Tür, sie ging auf, zum Glück, sonst wäre ich hier gemeinsam mit der Erpresserin verendet. Ich schaute rechts und links, rannte hastig über den leeren Gang – nein, niemand sah mich –, stürzte ins Treppenhaus, nahm immer zwei Stufen auf einmal, kam am Maschinenraum vorbei – hier wie immer irrer Lärm, ein Stampfen und Dröhnen, niemand nahm von mir Notiz –, ich rannte weiter, sah wieder Tageslicht, öffnete die Tür zum Seitendeck, umrundete das Schiff auf Deck fünf, wo um diese Zeit niemand war, kletterte dann die Hintertreppe hinauf und kam auf Deck neun an, als gerade der Eisblock von der Karre geladen wurde.
»Zwei Pferde! Heute machen sie zwei Pferde!« hörte ich die Leute sagen.
Ich ließ mich in meinen Liegestuhl plumpsen und versuchte, mein verräterisches Keuchen unter Kontrolle zu kriegen.
Langsam wurde ich ruhiger. Niemand beachtete mich. Die Leute beobachteten die Bildhauer. Eisspäne flogen, bewundernde »Aahs« und »Oohs« wechselten sich mit Kamerasurren und dem Klicken der Fotoapparate ab.
Ich schaute auf meine fast erfrorenen Hände. Nun floß wieder Blut in ihnen. Meine starren Finger ließen sich wieder bewegen. Da erst bemerkte ich, daß ich immer noch diesen Umschlag in den Händen hielt.
Ich öffnete ihn mit zitternden Fingern.
Ein Brief fiel mir entgegen und einige Fotos.
Sie zeigten mich bei der Chorprobe und beim Konzert.
Ein Foto zeigte Rudolf und mich, wie wir tanzten.
Auf einem anderen Foto trank ich mit der lilahaarigen Gattin Champagner. Das war alles.
Kein kompromittierendes Foto von Ulrich und mir?
Ich blätterte die Bilder noch einmal durch.
Nein. Nichts. Nur völlig harmlose Urlaubsfotos.
Mit klammen Fingern nahm ich den Brief.
»Liebe Weihnachtsgrüße«, stand da zu lesen. »Und alles Gute
im Neuen Jahr. Ihre Familie Wißmann aus Hamburg.«
Tags darauf war wieder Zwanziger-Jahre-Ball.
Anna und ich, wir warfen uns in die schicksten engen Fummel, staffierten uns aus mit Federboas, langen Zigarettenspitzen und Haarschmuck, und ich Übermütige klebte mir zur Feier des Tages sogar eine Locke übers rechte Auge.
Wir saßen am Zweiertisch im »Vier Himmelsrichtungen« und genossen das Galamenü. Mit Anna gab es immer etwas zu erzählen, immer etwas zu lachen.
Wieder kamen die Gigolos herein, begleitet von den drei Warmduschern.
Unser armer Bariton Friedemann Gottlieb fühlte
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