Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
verstand offensichtlich kein Wort.
»Please open the windows!« rief ich verzweifelt, indem ich nach meinen Dollar-Scheinen wühlte.
Der Fahrer erklärte in seinem gebrochenen, indisch gefärbten Englisch, daß das »dangerous« sei, der Zustand und das Gebaren dieser Kinder »absolutely normal« und daß ich auf keinen Fall etwas geben solle.
»Aber WARUM nicht? Die haben Hunger! Die krepieren ja!« Ich wollte meine Augen verdecken, weil ich vor so viel Elend und Menschenunwürde so machtlos war.
Ich war auf viel gefaßt gewesen, aber auf so eine geballte Ladung Elend nun auch wieder nicht.
Wir durchfuhren ein Viertel, in dem acht- bis zwölfjährige Kinder als Prostituierte in Käfigen feilgeboten wurden. Ich schrie entsetzt auf.
»Bitte, Herr Danz! Ich will hier weg!«
Hartwin herrschte den Fahrer an, schneller zu fahren! Über die Menschenknäuel hinweg!?
»Vorsicht! Bitte nicht!«
Mir wurde schlecht. Das konnte doch nicht DAS LEBEN sein! Um die Jahrtausendwende!
Inderinnen im Sari klopften an die Autoscheiben, boten sich und ihre kleinen Kinder feil! Hände, Hände, Hände an den Scheiben. Inzwischen war ich sogar froh, daß die Fenster nicht zu öffnen waren.
Hühner flatterten in Verschlägen, ausgezehrte Hunde humpelten über die Straße, überall rote Doppeldeckerbusse. Vor jeder Kuh wurde angehalten. Polizisten lenkten den Verkehr um die Tiere herum. Aber Menschen – MenschenKINDER waren nichts wert!
Unser Fahrer hupte ununterbrochen. Der Wagen wälzte sich mit den anderen Gefährten zentimeterweise voran;
Und plötzlich: der Anblick des neugotischen Bahnhofs, einer riesigen Kathedrale ähnlich! Er glich eher dem Bühnenbild einer Wagner-Oper! Von solchen Gebäuden mit Türmen und Erkern, mit Arkadenbalkonen und bleigefaßten Fenstern träumt man sonst nur! Gerade jetzt um die Mittagszeit herrschte ein unglaublicher Rummel.
»Was machen die da?«
Ich beobachtete nicht enden wollende Menschenschlangen, die sich an einer Kontrollstelle ihr Kochgeschirr mit Essen abholten.
»Die lassen sich ihr Essen von zu Hause bringen«, erklärte Herr Danz. »Wegen der Religion essen die nur ganz bestimmte Dinge.«
»WENN sie überhaupt essen.«
Wir rollten langsam an einem riesigen Markt vorbei.
In großen Hallen wurden Stoffe, Blumen, Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch verkauft. Überall streunten Hunde und Katzen herum. Aber Kinder irrten noch herrenloser und elender umher als alles Getier.
»You’ve never been in India before?«
»No! Ich meine nein! Natürlich nicht!« Ich wischte mir eine Träne von der Backe.
»O.K.! Now I understand your reaction. Driver! Go another way!«
Der Fahrer versicherte, daß diese Straße der einzige Weg zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt sei!
Ich schloß die Augen und schaute auf meinen Schoß.
Wie klein und hilflos, wie machtlos und ratlos ich doch war! »Schaun S’. Die Inder, die leben in verschiedenen Kasten. Wissen S’.«
»Klar weiß ich das. Habe viel über den Hinduismus gelesen«, schniefte ich.
»Und ... schau ... Mädchen.« Nun wurde die Mackerstimme ganz weich. »Die glauben, daß es ihre Bestimmung ist, wenn s’ in a niedere Kaste hineingeboren wurden, dann nehmen s’ des als Schicksal an und warten drauf, daß s’ sterben und in a bessere Kaste wiedergeboren werden.«
»Ja. Ist mir bekannt.« Ich zog die Nase hoch.
»Und das Betteln, das ist deren Job! Look outside! Die lachen! Look! Schau hin! Die sind froh dabei!«
Ich riskierte ein Auge. Aber das hätte ich nicht tun sollen. Die HAND, die da an meine Scheibe klopfte, zu WEM gehörte die?! Ich sah niemanden! Nur eine HAND! Zehn Zentimeter neben meinem Gesicht! Nur mit einer dünnen Autoscheibe dazwischen. Ich beugte mich vor.
Und dann sah ich die Kreatur, die zu der Hand gehörte: ein magerer Rumpf in grauen Lumpen und ein dunkelbrauner, graubärtiger Kopf. Sechzig Zentimeter über dem Boden. Auf einem rollenden Brett. Ich zuckte zurück.
»Die werden schon als Baby verstümmelt«, sagte Danz ungerührt. »Das gehört bei denen dazu! Damit s’ besser betteln können!«
Ich schluchzte auf. Verdammt! Nun nahm mich dieser göttliche Mann einmal mit in seinem Mietwagen, und dann war’s gleich so ein Höllentrip!
»Gemma jetzt lieber essen«, sagte Hartwin Danz.
Das Restaurant »Kaiba“ war ein ziemlich feiner Schuppen. Es tafelten ausnahmslos wohlbeleibte Inder darin.
Ich hockte mich auf eine Bank an der Wand. Hartwin Danz setzte sich neben mich. Er roch gut. Herb und
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