Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
Gold-Star-Kurs-Paar. Jenes eine Paar, das allen anderen erbarmungslos die Show stiehlt durch Wirbeln, Drehen, Stolzieren, Wenden, Schreiten und einfach penetrant Im-Takt-Bleiben. Das sind die Pfauen unter den Tanzpaaren. Sie haben ein unsichtbares Rad geschlagen, mit dem sie alle anderen beiseite wischen. Dieses Pfauenpaar war deshalb besonders interessant, weil das Pfauenweibchen über eine Hochsteckfrisur verfügte, die aussah wie ein mittlerer Adlerhorst. Vermutlich brütete sie darin unermüdlich weitere Pfaueneier aus. Der Mann, der sie herumwirbelte, wirkte lächerlich klein an ihrer Seite. Und: hmpf cha cha cha, cha cha cha!! Wie sie auseinanderflogen und wieder zusammenprallten, das war schon eine Augenweide! Ich kicherte in mich hinein. Neben mir lachte jemand laut und ordinär. Es klang wie eine eingerostete Klospülung. Ich blickte nach rechts, und da lehnte Gloria, die forsch-fröhliche STERN-Reporterin.
»Die sehen voll bescheuert aus, ey!« rief sie begeistert, und einige Köpfe drehten sich indigniert nach oben.
»Pscht!« machte der Kreuzfahrtdirektor Fred Hahn genervt. »Wir sind nicht zum Vergnügen hier, wie oft muß ich das noch sagen! Wir machen hier alle unseren Job, klar! Und Sie auch, Frau Kolumnenschreiberin!«
Gloria störte sich nicht an dieser Zurechtweisung. »Ich will tanzen!« schrie sie mit ungebremster Energie. »Gibt es hier unter den ganzen knackigen Kerls keinen, der tanzen kann? Hä? Wat is hier mit den Tänzern ausm Ballett??«
Die Tänzer ausm Ballett, das hatte ich gleich gesehen, waren allesamt schwul. Keiner von ihnen hatte Bock auf die laute Gloria.
Doch der kleine rundbebrillte Schweizer ließ sich das nicht zweimal sagen. Er packte Gloria beherzt am Arm und zerrte sie die geschwungene Freitreppe hinunter. Ich lehnte nun allein über der Brüstung und mußte neidvoll beobachten, wie die zwei dünnen Gestalten dort unten sich bogen und verrenkten zwischen den gediegen vor sich hin trottenden Paaren und natürlich dem Pfauenpaar mit dem Adlerhorst, das sich nun sichtlich in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt fühlte. Ulrich schleuderte und zerrte die biegsame Gloria, und diese genoß das ganz augenscheinlich, was sie durch lautes Klospülunglachen und wildes Armschlenkern zur Kenntnis brachte. Das Adlerhorstpaar wehte elegant, wenn auch mit zusammengekniffenen Lippen, um die wild Zappelnden herum. Die Gediegenen schlurften auf zwanzig Quadratzentimetern am Rande hin und her. Die achtköpfige Bänd grinste. Ich liebte dieses Spektakel. Jemand füllte mir mein Champagnerglas neu. Hurra, dachte ich, was für ein Leben! Hier werde ich nun wochenlang verweilen dürfen, auf diesem wunderbaren Schiff voller Luxus und reicher Menschen, und in drei Tagen werde ich Australien sehen! Ich konnte mein Glück kaum fassen. Wenn ich da an Geilenkirchen und den gemischten Chor dachte, in dem ich dreimal wöchentlich Stimmbildung machte! Mim mim mim, die Klarinett, die Klarinett macht dua dua dua gar so nett! Und Hugo Distler: »Ich brach ein dürres Reiselein!« Dies hier war kein dürres Reiselein. Das war eine supergeile Reise!! Und ich wollte sie genießen!
Ich hätte gar zu gern auch getanzt. Niemals hatte ich in meinem anderen Leben in Geilenkirchen die Gelegenheit dazu. Höchstens mal auf dem Alten-Gemeindefest beim ökumenischen Beisammensein. Doch da mußte ich immer Rüdiger assistieren, der an der Hammondorgel saß und verschiedene Register gezogen haben wollte. Immer mußte ich Arme Rüdigers Register ziehen! Kein Mensch glaubt mir, wie langweilig dieser Job ist! Nun war ich einmal frei! Ich wollte tanzen, hemmungslos, bis zur Besinnungslosigkeit! Doch mit wem? Ob der nette, höfliche alte Professor wohl ein Tänzchen wagen wollte? Ich schielte zu ihm hin. Er verstand – ganz Mann von Welt – meine geheimen Sehnsüchte und näherte sich mir galant. Er verbeugte sich, der fünfarmige Kronleuchter warf interessante Spiegelreflexe auf seine Glatze, und schon schritten wir anmutig die Freitreppe hinab, um die Tanzfläche mit unserer Anwesenheit zu bereichern. Der Herr Professor nahm mich beherzt in den Arm und steuerte mich taktfest zu einem Eins-zwei-Wechselschritt, Eins-zwei-Wechselschritt ins Getümmel hinein.
»Ich liebe Ihre Gedichte!« strahlte ich ihn an.
Der Professor roch gut. Ehrlich und sauber. Nach Kernseife.
»Ich habe sieben abendfüllende Programme auswendig im Kopf«, antwortete er liebenswürdig. »Zu welchem Thema wollen Sie was hören?«
Gloria und
Weitere Kostenlose Bücher