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Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)

Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)

Titel: Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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rief er fröhlich.
    »Hallo«, keuchte ich und stellte mein »Nie wieder sprachlos“-Seminar vorübergehend ab.
    »Hier riecht es aber interessant!« Der Professor krabbelte auf ein Fahrrad an der Wand und schlug seinen Gedichtband auf. Während er strampelte, begann er zu lernen.
    »Ich war das nicht«, fühlte ich mich bemüßigt, mich zu verteidigen. »Hier haben es eben zwei Schwule miteinander getrieben! Der Friseur und ein Matrose.«
    Der Professor ignorierte meine peinliche Aussage.
    »Kein Problem, gnädige Frau.« Er vertiefte sich wieder in seinen Gedichtband.
    Ich trabte. Er strampelte.
    »Was lesen Sie?« fragte ich, lästig wie ein Kind.
    »Die eheliche Liebe«, antwortete der Professor, vornehm transpirierend.
    Mich verlangte nach Zerstreuung. »Bitte laut!«
    »Klorinde starb; sechs Wochen drauf
    Gab auch ihr Mann das Leben auf,
    Und seine Seele nahm aus diesem Weltgetümmel
    Den pfeilgeraden Weg zum Himmel.
    ›Herr Petrus‹, rief er, ›aufgemacht!‹
    ›Wer da?‹ – ›Ein wackrer Christ!‹
    … – – Das Tor wird aufgetan.
    ›Ha! ha! Klorindens Mann!
    Mein Freund‹, spricht Petrus, ›nur herein;
    Noch wird bei Eurer Frau ein Plätzchen ledig sein.‹
    ›Was? meine Frau im Himmel? wie?
    Klorinden habt Ihr eingenommen?
    Lebt wohl! habt Dank für Eure Müh!
    Ich will schon sonst wo unterkommen!‹«
    Der Professor schmunzelte strampelnd. »Raten Sie, von wem!« »Kästner?«
    »Kalt, eiskalt!«
    »Tucholsky?«
    »Noch kälter, viel kälter!!«
    »Goethe, Schiller, Heine, Kleist?«
    »Schon wärmer.«
    »Uhland, Lessing, ääähhh ...«
    Ich schwitzte.
    »Lessing«, sagte der Professor und vertiefte sich wieder in seinen Gedichtband.
    Ich trabte weiter. Bestimmt wollte er jetzt in Ruhe lernen. Draußen lag der Ozean in der Morgensonne, grauschwarz, mit einem gigantischen roten Lichtband, das blendete und funkelte. Laut Anzeige war ich nun zehn Kilometer getrabt, bei einer Geschwindigkeit von neun Komma acht Stundenkilometern, und hatte dabei siebenhundertvierunddreißig Kalorien verbraucht.
    Ich ließ das Band auslaufen, wischte mir an einem dieser blauen Handtücher den Schweiß ab und kletterte auf den Crosstrainer. Während meine Beine auf und ab walkten und meine Arme zogen und stemmten, ging ich meinen Gedanken nach. Die eheliche Liebe. Von Lessing. War auch nicht viel anders als die eheliche Liebe von Rüdiger und mir. Rüdiger kam bestimmt in den Himmel. Und wenn das der Fall war, wollte ich tatsächlich nicht auch dort enden. In meiner Seele wohnte nämlich ein kleiner bis mittelgroßer Teufel. Wieso der sich dort eingeschlichen hatte, wußte ich nicht. Aber er wohnte da. Dessen war ich mir sicher. Ich konnte ihn in Geilenkirchen nie rauslassen, aber hier, an Bord der »MS Blaublut«, das fühlte ich, da konnte ich es. Mein kleiner bis mittelgroßer Teufel würde hier das Licht der Welt erblicken. Vermutlich würde er ein paar sehr interessante Spielgefährten finden. Und ich freute mich ganz teuflisch darauf.

Um Punkt zehn betrat ich den »Fürst-Rainier-Saal“. Einige emsige Stewards putzten mit Hingabe die Goldverzierungen an Tischen und Stühlen. Sonst war noch niemand da. Aha, dachte ich, zu spät kommen ist hier an der Tagesordnung. Ich lümmelte mich in einen dieser roten Samtsessel und schaute zum Bullauge raus. Draußen Wasser, Wasser, nichts als Wasser. Nach wie vor hatten wir überhaupt keinen Seegang. Wie ein öliger Teppich lag der Ozean da. Die Sonne brannte unbarmherzig. Draußen auf den Sonnen- und Schattendecks darbten schon wieder die vielen hundert Sträflinge, schweigend in ihr Schicksal ergeben, vor sich hin. Ich würde sie im Laufe dieser Reise schon in Stimmung bringen, das schwor ich mir!
    Der kleinwüchsige Tontechniker namens Larry kam herein. Er schlüpfte gleich in sein Regiekabuff und machte sich an den Lautsprechern zu schaffen. Ich schlenderte zu ihm hin.
    »Hallo, Katze!« begrüßte er mich.
    Was eine coole Begrüßung! Bei uns in Geilenkirchen, da hätte sich nie jemand erdreistet, mich »Katze« zu nennen! Da war ich »Frau Meier«, die Frau von »Herrn Meier“, und ich benahm mich auch so. Aber hier ... Katze! Das hatte was!
    »Hallo, Kater!« Ich kam mir unendlich verwegen vor! Einen fremden Tontechniker, den ich erst seit einem Abend kannte, mit »Kater« anzureden! Als hätte ich es schon nächtelang mit ihm auf der Matratze getrieben! Wenn ich das in meinem evangelischen Frauen-und-Mütter-Club erzähle, dachte ich.
    Wie locker die hier

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