Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
doch noch gar nichts!
Das Fitneßcenter lag ganz hinten, am Heck. Der Zugang war nur von draußen möglich. Man mußte zuerst über das Schachspieldeck. Die Schachfiguren auf ihrem quadratischen Feld schliefen alle noch. Im Stehen. Kein einziger Rentner bemüßigte sich zu dieser frühen Morgenstunde, sie auf ein anderes Feld zu stellen. Auch auf dem Frühstücksdeck, eine Treppe tiefer, war noch alles ruhig. Nur die emsigen Vietnamesen mit den Handtüchern für die Liegestühle rückten bereits Tische und putzten Goldverzierungen und Leisten. Sie entwässerten Sonnenschirme und wienerten die Kopfteile der Liegestühle. Was für fleißige Heinzelmännchen! Solche hätte ich zu Hause in Geilenkirchen auch brauchen können!
Sie grüßten mich sehr freundlich und schienen erstaunt, um diese frühe Stunde schon ein weibliches Wesen im Fitneßdreß zu sehen. Und dann noch ein so appetitliches wie mich! Das geschah sicher nicht oft.
Ein weiteres Deck tiefer lag das Fitneßcenter. Die Sonnenstühle, auf denen tagsüber die nackerten Opas vor der Sauna lagen, um einen Blick auf die Fitneßmiezen zu erhaschen, waren alle noch zusammengeklappt.
Ich öffnete mit Schwung die Tür. Da waren doch schon welche vor mir da! Aber besonders Fitte! Was waren das für Übungen? Oh, là, là!! Auf einer der hinteren Matratzen, neben dem Schrank mit den Bauchrollern und Gewichten, waren zwei männliche Wesen sehr beschäftigt miteinander! Sie waren ineinander verkeilt und stöhnten leise. Ach je! Was sollte ich tun?! Hinter mir fiel mit Krachen die Tür ins Schloß. Der; der oben lag, hob den Kopf. Es war Lothar, der schwule Friseur aus dem Schönheitssalon von Deck sieben. Ich beneidete ihn um seine prächtigen kinnlangen Locken. Und im Moment beneidete ich ihn um den prächtigen Kerl, mit dem er beschäftigt war. Doch leider machte ich diesem sportlichen Tun ganz unabsichtlich ein jähes Ende. Der Friseur sprang auf, und der Matrose, der unter ihm lag, knurrte verärgert: »Fuck yourself, damned!« und griff nach einem dieser Handtücher, die die Vietnamesen immer so liebevoll falteten.
»‘tschuldigung«, stammelte ich. »Ich wollte nicht stören.«
»Scheiße«, sagte der Friseur, indem er sich die Hose über die muskulösen, braungebrannten Lenden zog. Sein prächtiges Organ schrumpfte in Sekundenschnelle.
Was für eine Verschwendung, dachte ich erschüttert. So ein Bild von Mann! Uns Frauen für immer verwehrt!
Die beiden rafften sich und ihre Habseligkeiten zusammen und verließen grußlos die Stätte der Nicht-Erfüllung.
»Tut mir echt voll leid, ey!« rief ich hinter ihnen her, aber die Eisentür krachte erneut ins Schloß.
Ich atmete tief durch. Es roch nach süßlichem Parfum und nach Schweiß und nach süßlichen anderen Ausdünstungen. Ich wollte ein Bullauge aufreißen, aber das ging natürlich nicht.
Niedergeschlagen betrat ich das Laufband. Ich setzte mir meine Walkman-Kopfhörer auf und stellte das Weiterbildungsseminar »Nie wieder sprachlos« aus dem Rusch-Verlag an. Immer, wenn ich renne, höre ich ein Weiterbildungsseminar aus dem Rusch-Verlag. So ist die Zeit doch sinnvoll genutzt.
Während ich vor mich hin trabte und versuchte, diesen unerträglichen Geruch nicht wahrzunehmen, fühlte ich mich unendlich schuldbewußt. Da hatte ich eine romantische Liebesnacht jäh beendet! Warum konnte ich denn nicht anklopfen! Es war doch wohl anzunehmen, daß dieses herrliche Fitneßcenter nachts nicht ungenutzt blieb! Wo sollten die armen Kerle denn auch hin! Gloria, die neugierige Journalistin, hatte mir gestern abend noch erzählt, wie winzig die Crewkabinen waren, wie menschenunwürdig zusammengepfercht die armen Matrosen und Stewards da unten in ihren Zellen hausen mußten! Und natürlich waren sie dort zu dritt und zu viert in ihren Kojen. Da konnten neue zarte Bande nicht geknüpft werden. Und wenn doch, dann wich man gern in das großzügige, bequeme Fitneßstudio mit Meerblick aus. Das konnte ich nur zu gut verstehen.
Ich trabte verdrossen vor mich hin. Nun hatte ich bereits vier Feinde auf diesem Schiff. Eine alte dürre Frau mit Adlerhorstfrisur nebst kleinem dicklichem Gatten, denen ich gestern abend die Show gestohlen hatte, einen Friseur und einen Matrosen, denen ich den Beischlaf vermasselt hatte.
Nach etwa acht Kilometern, die ich auf der Stelle getrabt war, öffnete sich die schwere Eisentür erneut, und mein guter alter Freund, der Professor, betrat den Raum.
»Einen wunderschönen guten Morgen!«
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