Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
Kavalier. Auch er war nicht an Land gegangen.
»Ich habe wieder ein paar neue Gedichte gelernt!«
Er schaute zwischen der Spinatwachtel und mir hin und her. Blitzschnell erfaßte er die Situation und entschärfte sie auf seine unglaublich originelle Weise und mit Hilfe von Robert T. Ode-man:
»Ein grantig Jüngferlein spazierte
mit finstrer Miene durch den Wald.
Es brummelte und meditierte:
›Jetzt, wo ich fünfundfünfzig alt,
da kommt kein Freier mehr in Frage,
sie meiden mich geflissentlich.
Mein Leben ist mir eine Plage ...‹
Sie räsonierte fürchterlich ...«
Ich kicherte schadenfroh, während ich mich mit den Noten in meinen Liegestuhl zurückzog. Dann ließen wir einander in Ruhe, der Professor und ich. Ich mußte den Liederabend vorbereiten und er seinen abendlichen Gedichtvortrag im »Fürstin-Gracia-Patricia-Kino“.
Das grantig Jüngferlein spazierte über das Sonnendeck, als ob nichts geschehen wäre. Aber die Zahl meiner Feinde wuchs von Minute zu Minute.
Beim Abendessen im Restaurant »Vier Himmelsrichtungen« saß wieder der alte Einhandsegler neben mir.
Er erzählte mir bei Bleichsellerie mit Käsecreme in Orangenhälfte von seiner Rundung des Kaps der Guten Hoffnung im Jahre 1956.
»Die glatte, rauhe Oberfläche der See färbte sich wieder dunkelblau. Ich verband die Pinne in gewohnter Weise mit der Steuerleine von der Fock und einem Gummistropp.«
»Ja«, sagte ich abwesend, »das hätte ich auch gemacht.« Ich hatte vom Segeln nicht die geringste Ahnung, aber ich wollte diesem liebenswürdigen alten Mann nicht den Eindruck vermitteln, als sei ich mit den Gedanken woanders.
»Ich hatte jetzt Zeit, meinen Standort zu berechnen, und stellte fest, daß ich während der Flautentage 145 Seemeilen ...«
Ich kaute an meinen bleichstengeligen Sellerie herum.
Wie ging gleich die zweite Strophe von »Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n«?
»Vom Boot aus konnte ich schon sehen, daß eine Landung am Strand bei dieser Brandung nicht möglich war, ich mußte also Segel setzen und die Fock einholen ...«
Der Steward fragte, ob er jetzt das Estragon-Schaumsüppchen bringen dürfe.
Wir bejahten, beide sehr in unsere Gedanken vertieft.
»Ich mußte mir die Fock herunterholen ...«
Mir war im Moment ziemlich egal, ob er sich eine Fock runterholen mußte, der arme, einsame Einhandsegler. Ich fieberte meinem Auftritt entgegen.
Lars-Dars und die Diseuse saßen zwei Tische weiter. Ich lächelte, so entspannt ich konnte, hinüber. Lars-Dars schien sich auch nicht wirklich wohl zu fühlen.
Am Käpt’ns-Tisch speisten außer dem Hoteldirektor mit Mareike, seiner rundlichen Gattin, wieder mal Gloria mit ihrem Fotografen Stefan, meine zwei Schweizer Bänker – ihr Vortrag mußte zum Sterben langweilig gewesen sein – und, zu meiner Überraschung, das beleidigte Jüngferlein vom Swimmingpool. Das bedeutete, daß die alte Krähe sich postwendend beim Kapitän beschwert hatte. Und der arme Fred mußte neben ihr sitzen! Und ihr das lästerliche zahnlose Maul einseifen! Ich warf einen kurzen Blick hinüber, aber er wich mir aus. Das Jüngferlein hatte es indes wohl bemerkt. Sie warf mir einen triumphierenden Blick zu.
»Ungeduldig begann ich zwischen den unzähligen Korallenstöcken herumzukreuzen, bis das Boot schließlich in eine Sackgasse geriet, in der es von Riffen so eingekreist war, daß ich auch nicht mehr wenden konnte. Mit dem Rückwärtsgang versuchte ich nun die Jolle aus ihrem Gefängnis zu befreien, mit dem Erfolg, daß das Ruderblatt auf eine Riffwand krachte. Die Pinne flog mir aus der Hand und mit solcher Wucht auf die Verstrebung des Heckkorbes, daß sie wie ein Streichholz brach. Dabei knickte auch das Stahlrohr an der Strebe ab und riß ein Loch in das Süll des Cockpits.«
Das Süll! Das alte Süll wollt wohl nicht, wie er wüll. Das erinnerte mich an unseren altdeutschen Liedschatz. Der alte Knabe schien ja seine olle Jolle ganz schön rüde behandelt zu haben. Ich nickte und schluckte und schlürfte mein Estragon-Schaumsüppchen, das mir jedoch im Halse steckenblieb. Noch siebenunddreißig Minuten bis zum Auftritt.
Die Leute strömten. Mein Gott, dachte ich, könnt ihr denn nicht woanders hingehen heute abend? Geht doch zum Bingo-Spiel oder springt auf dem Schachbrett herum, gibt’s denn nichts im Bordfernsehen oder im Kino? Liest nicht Herr Professor Weißen-reim 99 seiner weniger beliebten Reime? Oder spinnt nicht der alte Seebär Hasso von Tegern sein
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