Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
zu lernen. Es waren zweiundzwanzig Lieder, die diese Diseuse im Gepäck gehabt hatte, und jedes Lied hatte zwei Strophen!!
Fast niemand war an Bord, selbst die Sträflinge, die nie Landgang hatten, waren heute auch für ein paar Stunden in die Freiheit entwichen. Sie alle schnorchelten vor dem Barrier-Riff herum. Ich glaubte, ich hätte das Schiff für mich.
Ich setzte mir die Kopfhörer meines Walkmans über die Ohren und blätterte in den dicken, zerfledderten Noten der dicken, zerfledderten Diseuse herum.
»Männer umschwirrn mich ...«, murmelte ich mit geschlossenen Augen. »Motten umschwirrn mich ... ach Quatsch, MÄNNER umschwirrn mich ... wie Motten um das Licht. Männer umschww...«
Ein Schatten beugte sich über mich. »So, tun sie das?!«
Erschrocken richtete ich mich auf und grabbelte nach meiner Sonnenbrille. Die Stimme hätte ich unter Tausenden auf der Welt erkannt.
Es war Fred. Fred Hahn.
»J ... jaja, tun sie.« Ich mußte mich erst mal räuspern. »Was tust du hier?«
»Ich umschwirre dich. Wie Motten um das Licht.«
Mein Gott. Mir krampfte sich alles zusammen. Da lag ich hingestreckt im weißen Badeanzug auf dem blauen Laken, und Fred stand in weißer Uniform an meinem Fußende.
Kamera eins, die ERSTE! Hättwich klatschte begeistert in die Hände. So, Kinderchen. Jetzt aber mal.
Wie aus dem Boden gestampft. Er, der Herrlichste von allen. Nichts und niemand war hier. Wir hatten das ganze Sonnendeck für uns. Ich hatte so ein Herzrasen, daß ich nicht sprechen konnte.
»Ich weiß, wie grausam und kaltherzig du bist«, sagte Fred.
Ich schluckte. Das meinte der doch nicht ernst?
»Wie ... wie meinst du das?«
»Du läßt dich gern von Männern umschwirren, um sie dann stehenzulassen.«
»Nein, tu ich nicht! Das weißt du ganz genau!«
Fred zog sich einen Schemel heran und setzte sich.
»Ich habe lange nachgedacht«, sagte er, »und ich hätte nie geglaubt, daß noch mal EIN ROCK ...« Er unterbrach sich.
Mein Herz wollte mir schier aus dem Munde fallen.
Was? Was weiter? Meinte er mich mit »ein Rock«?
»Ich habe schon zig Affären gehabt. Dutzende. Hunderte. Mit allen Tänzerinnen, Sängerinnen, Künstlerinnen, Passagierinnen, Ureinwohnerinnen und Kapitänsgattinnen dieser Welt. Und ich bin so abgebrüht wie ...«
Seine Finger zitterten, als er nach seinen Zigaretten fingerte.
Ich weiß, wie abgebrüht du bist, Lieber, dachte ich weich. Unsere Flaschengeister sind sich so teuflisch ähnlich, aber auf dem Grunde unserer Flaschen, da liegt unsere Seele im Koma ... Hättwich wischte sich die Augen.
»... aber ich wußte nicht, daß ich mich noch mal WIRKLICH VERLIEBEN konnte. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl.«
Aber ich fühle es doch auch! Genau das! Man muß immerfort aufs Klo und kann nichts mehr essen und nichts mehr denken und sieht hinter jedem Mast und jeder Marmorsäule das Objekt seiner Träume, und der Magen zieht sich jedesmal zusammen, wenn man an den Moment denkt, an dem man sich nahe war ...
Ich klammerte mich an die vergilbten Noten, damit er nicht gewahr wurde, wie sehr meine Hände zitterten. Hättwich stand hinter einer weißen Putte, aus deren Brustwarzen Wasserfontänen in den Pool spritzten, und krallte sich vor Spannung daran fest.
»Aber mir geht es so schlecht wie noch nie im Leben.«
»Warum, Fred? Du weißt, was ich für dich empfinde. Warum geht es dir schlecht?«
»Da treffe ich EINMAL die Frau meiner Träume, und dann kommt sie aus Geilenkirchen und ist verheiratet«, sagte Fred bitter.
»Aber hier ist nicht Geilenkirchen! Hier ist Australien! Wir sind am anderen Ende der Welt! Warum geht es dir schlecht?«
»Wenn ich dich beobachte, wie du diesem unsäglichen Schweizer Bänker die Sinne verwirrst ...«
»Du BEOBACHTEST mich?!« Meine Stimme überschlug sich vor Begeisterung. Aber ich versuchte, Empörung mitschwingen zu lassen.
»Natürlich. Tag und Nacht. Du weißt ja, daß ich darin Spezialist bin.«
»Und du weißt genau, daß mich dieser ... anhängliche Schweizer nicht für fünf Pfennig interessiert.«
»Dafür verdrehst du ja auch dem alten Professor gehörig den Kopf.«
»Weißenreim? Gildetnicht! Wir sind nur Sportskameraden! Wir radeln jeden Morgen zusammen um sechs im Fitneßcenter.«
»Im Fickneßcenter spielt sich ja bekanntlich einiges ab ...«
»Fred! Jetzt wirst du geschmacklos!«
Fred kramte in seiner Brusttasche herum und steckte sich seine unvermeidliche Marlboro an.
Eine tiefe, wohlige Wärme breitete sich in
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