Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
aufgescheucht hatte. Auch ich hatte es getan. Und sogar im Freien. Hoffentlich hatte uns niemand gesehen!
Ich schlich wie ein geprügelter Hund die Außentreppe hinauf, über Deck sieben, wo noch nicht mal die Frühstücksstewards erschienen waren, über Deck acht, wo das Schachspiel im Morgentau vor sich hin schlief. Wie in so vielen Nächten vorher kam ich barfuß und im Abendkleid an der Rezeption vorbei. Die Nachtschicht-Tussi warf mir einen vernichtenden Blick zu. Ich wankte in meine Kabine, warf mich aufs Bett und starrte an die Decke.
»Was auf dem Herzen?« fragte Weißenreim, mein alter Freund, der ab sechs Uhr dreißig im Fitneßcenter neben mir herradelte.
»Scheiß-Männer«, stieß ich hervor. Ich war bei Kilometer acht Komma drei, und der Schweiß der Erschöpfung tropfte mir von der Stirn.
»›Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke‹«, sagte Weißenreim. »Für Liebeskummer das beste Rezept.«
»Bitte, sagen Sie es!« Ich riß mir die Kopfhörer von den Ohren, mit denen ich das Weiterbildungsseminar aus dem Rusch-Verlag »Emotionale Intelligenz« gehört hatte.
»Das Gedicht eines Mannes, der die Geliebte zu einem anderen Mann hat gehen lassen.«
»Ja!« keuchte ich und liebte Weißenreim für seinen Genius.
»Das ist mein Zimmer und ist doch nicht meines.
Zwei Betten stehen Hand in Hand darin.
Zwei Betten sind es. Doch ich brauch nur eines.
Weil ich schon wieder mal alleine bin.
Der Koffer gähnt. Auch mir ist müd zumute.
Du fuhrst zu einem ziemlich andren Mann.
Ich kenn ihn gut. Ich wünsch dir alles Gute.
Und wünsche fast, du kämest niemals an.
Ich hätte dich nicht gehen lassen sollen!
(Nicht meinetwegen. Ich bin gern allein.)
Und doch: Wenn Frauen Fehler machen wollen,
dann soll man ihnen nicht im Wege sein.
Die Welt ist groß. Du wirst dich drin verlaufen.
Wenn du dich nur nicht allzuweit verirrst ...
Ich aber werd mich heute nacht besaufen
und bißchen beten, daß du glücklich wirst.«
Ich trabte, und Schweiß und Tränen tropften auf mein Laufband. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals unglücklicher gewesen zu sein. Und den lieben alten Professor Weißenreim, den mochte ich zum Schreien gern.
Ein paar Tage später fand der Zwanziger-Jahre-Ball statt.
Schon seit Tagen konnten die Passagiere Requisiten kaufen: Federboas, Handschuhe, Gamaschen, Haarschmuck, wie man ihn in den Zwanzigern getragen hatte, wadenlange Abendkleider, Hemdbrüste, lange Zigarettenstengel.
Die Friseure machten den Damen Frisuren wie in den Zwanzigern, und die Herren setzten Monokel auf.
Wir Künstler sollten alle ein oder zwei Titel aus dieser Zeit beitragen. Schon beim Abendessen – ich tafelte wieder mal mit meinem alten Freund Hasso, dem Einhandsegler, im »Königin-Louise-Restaurant« – kamen die »Gigolos«, das heißt alle männlichen Künstler dieses Schiffes, mit Pomade im Haar, angemaltem schmalem Schnauzer und ganz im Dreß der Zwanziger, und luden alle Anwesenden mit einem Ständchen – Anthony sang hinreißend! – in den »Fürst-Rainier-Saal« ein. Alle meine Freunde – Lars-Dars mit angegelten Haaren, Larry im Frack, Anthony, Rudi, die achtköpfige Bänd, sogar der gute alte Professor Weißenreim, die beiden Bordgeistlichen, die offensichtlich großen Spaß an diesem Job hatten –, alle, alle luden ein. Sie verteilten Tanzgutscheine an die tafelnden Damen. Ich bekam gleich zwei Dutzend.
Und der Champagner floß in Strömen.
Wir waren wieder mal seit drei Tagen auf See und brauchten dringend Abwechslung. Gloria, Anna und ich hatten uns in enge, knielange Kleider geschmissen, und ausgerechnet Klara-Viktoria, die dicke Diseuse, hatte uns Accessoires wie Zigarettenspitze, Fuchsschwanz, Handschuhe und Federschmuck fürs Haar geliehen. Wir sahen einfach phantastisch aus. Ich war so gespannt!
Nach dem Essen schoben wir uns die breite Freitreppe hinauf. Nicht von meiner Seite wich Ulrichch, der seit unserer »Liebesnacht« von nichts anderem mehr schwärmte. »Ja Wahnsinn, du« – die Sache hatte ihm augenscheinlich gefallen. Ich hatte mich fast an diesen begeisterungsfähigen Menschen gewöhnt. Auch sein Kumpel Jürgi Bürgi war ein echter Freund geworden. Bei einigen Landausflügen hatten wir beide lange Spaziergänge gemacht und geredet. Jürgi Bürgi wußte von meiner unerfüllten Leidenschaft für Fred und hatte großes Verständnis für mich.
»To fall in love«, sagte er. »Man kann nichts dagegen tun, odr. Du wirst den richchtigen Mann noch
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