Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)

Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)

Titel: Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
Vom Netzwerk:
geschlossen, diese drahtige, fröhliche, strahlende Frau, die immer lachte und von keinerlei Falsch oder Neid geschlagen war. Zwar mochte ich nicht mittrainieren – mit lüsternen Rentnern den Griff zwischen die Beine üben –, aber ich lehnte an der Säule, kraftlos, ideenlos, und sah ihr zu. Fred lehnte an einer anderen Säule. Und sah auch zu. Oder sah er zu mir? Ich konnte unter seiner Mütze nicht seine Augen erkennen.
    »Heute stellen wir uns vor, der Angreifer kommt von hinten und will uns würgen!« rief Anna froh, und alle fünfzig Teilnehmer stellten sich das begeistert vor. Es gab ein Gelächter und Geflirte auf dem Sonnendeck morgens um zehn, daß es eine Freude war. Viele alte Damen würgten gern alte Herren und umgekehrt. Auch viele alte Damen, die als »Freundinnen« an Bord waren und sich von ihrer kargen Rente eine Innenkabine teilten, würgten einander mit Begeisterung. Ich beobachtete die zwei älteren Tanten, die sich immer so liebevoll umeinander kümmerten: »Liebes, du solltest dir einen Schal umbinden, sonst erkältest du dich!« – »Schau mal, es gibt heute Apfelkompott, ich habe dir ein Schälchen mitgebracht, das magst du doch so gern!« – »Liebes, du solltest jetzt aus der Sonne gehen, sonst kannst du heute nacht wieder nicht schlafen ...« Diese beiden würgten einander mit einer solchen Begeisterung, daß ich das Lachen nicht unterdrücken konnte. Das Schiff war eben im Begriff, nach drei Seetagen wieder anzulegen, aber Annas Seminarteilnehmer waren viel zu beschäftigt, um sich mit ihren Videokameras über die Reling zu lehnen.
    »So«, rief Anna, wie immer strahlend. »Als erstes mal ein bißchen Beinarbeit! Jeder sucht sich einen Partner! Kick zum Knie nach außen, Kick zum Knie nach innen! Das stärkt die Oberschenkelmuskulatur!«
    Ich beobachtete lächelnd die alten Pärchen, die sich begeistert das Knie ans Schienbein rammten und dabei ins Hüpfen und ins Taumeln gerieten.
    »Ja, gut, ihr Lieben! Schön! Wie die Känguruhs!« Anna lachte, und ich schloß sie in diesem Moment für immer ins Herz. »Ihr Lieben, können wir noch mal den Schrei üben, Siu-nim-Tau – richtig schreien, aus dem Bauch, nicht mit fistelnder Stimme, hört ihr! Laßt es richtig raus!«
    Und die Leute schrien! Heidewitzka, was ein Spaß! Endlich durften sie sich mal anbrüllen, daß es eine Lust war! Ich lehnte, wie sonst immer Hättwich, hinter einer Säule und kicherte.
    Dann trainierte man »Lat-Sao« und »Pak-Sao«, eine rasend schnelle Schlagabfolge, die bei manchen Leuten zu komisch aussah.
    »Gut! Geraden Kick nach vorn!« rief Anna, während sie von Pärchen zu Pärchen ging und die Haltung korrigierte.
    »Wing Tsun ist ein sehr weiches System«, rief Anna lachend in den Tumult hinein. »Man borgt sich die Kraft des Gegners und benutzt SEINE Energie. Das erreicht man durch ein spezielles Chi-Sao-Training. Frei übersetzt: klebende Hände! Was wir hier machen, ist ein Reflex-Training, ein Gefühls-Training! Also nicht durch Zurückweichen, sondern durch Kontaktsuchen die Kraft des Gegners nutzen!«
    Alle probierten dies mit heiligem Ernst.
    »Wunderbar, ihr Lieben, ganz wunderbar. So. Jetzt zeig ich euch mal was für den Notfall. Wir wollen also unseren Angreifer über Bord werfen! Das können wir ruhig machen, denn wir sind im Hafen von Melbourne, und keiner würde hier ernsthaft untergehen! Also üben wir! Fak-Sao zur Kehle!!«
    Zwei Dutzend alte Damen hieben zwei Dutzend alten Herren ihre Handfläche an die Kehle, natürlich nur zum Schein, und die zwei Dutzend Herren wichen willig nach hinten, fast als würden sie über die Reling fallen.
    Ich beobachtete Anna mit Bewunderung und Respekt. Wie sie das schaffte! Mit so vielen verwöhnten Passagieren, die normalerweise nicht bereit waren, sich zu bewegen! Sie setzte Aggressionen frei, aber gleichzeitig lachten die Passagiere, machten sich einen Spaß draus, flirteten, entspannten sich! Ja, genau so sollte gute Unterhaltung sein, dachte ich. Und das macht diese strahlende Anna nun seit Wochen. Ich hatte sie gar nicht richtig wahrgenommen vorher. Anna kämpfte nun gegen eine Gummifigur, eine aufblasbare. Die sah bescheuert aus, hatte sie doch vier Streifen und eine Troddelmütze auf! Ich sah schon Gespenster!
    »Jetzt packe ich ihn am Nacken, geb ihm ein Knie zwischen die Beine, bücke mich und fasse seine Beine! Achtung, Leute, herschauen! Ich ramme ihm zwei Finger in die Augen, mit aller Wucht, und verpasse ihm gleichzeitig einen

Weitere Kostenlose Bücher