Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
wie ich auf die Idee kam. Aber der Zufall eilte mir zu Hilfe. Aus beiden Richtungen nahten ratternd und quietschend Straßenbahnen. Die, die von rechts kam, war schon etwas näher als die linke. Der Alte schaute glatt in die verkehrte Richtung und trat auf die Fahrbahn. Die Straßenbahn klingelte. Er schien es nicht zu hören! War der taub?! Alles ging rasend schnell. Ich sah meine Chance!
Plötzlich rannte ich los, von hinten in seinen. Stock rein. Es sah so aus, wie wenn ich, um meine Straßenbahn noch zu kriegen, rücksichtslos überholt hätte. Es klappte! Meine Wucht war immens! Die Kraft des Gegners nutzen! Ich rammte ihm mein Knie in seine Kniekehle. Er strauchelte, ich wischte ihm meinen Rucksack über die Birne, genau wie ich es bei Anna heute morgen gesehen hatte, und hörte ihn fallen. Die Straßenbahn rasselte und quietschte, ich rannte knapp vor ihr her, spürte noch ihren Windzug an der Wange, ein Klingeln und Bremsen, die Fahrerin schüttelte genervt den Kopf, ich erwischte die entgegenkommende Straßenbahn und sprang auf. Gut, daß ich so fit war. Durch das Fenster konnte ich gerade noch sehen, daß die Straßenbahn, unter die der Alte gekommen war, in Intervallbremsung zum Stehen kam. Leute liefen erschrocken zusammen, ich sah in entsetzte Gesichter, man zeigte, man schrie. Hören konnte ich nichts mehr. In meiner Straßenbahn schien keiner etwas bemerkt zu haben. Man las Zeitung oder schaute teilnahmslos aus dem Fenster. Wir waren in Sekundenschnelle hundert Meter vom Unfallort entfernt.
An der nächsten Haltestelle ließ ich mich von der Rampe fallen.
Mit gräßlichem Sirenengeheul hetzte ein Blaulichtwagen in die Gegenrichtung.
Unbeteiligt schlenderte ich weiter. So langsam wie möglich bestieg ich ein Taxi.
Wenig später gewährte mir der Portier in Frack und Zylinder Einlaß in das altehrwürdige Windsor Hotel.
Die anderen saßen beim Kaffee.
»Na, allet klaa?«
Gloria machte bereitwillig Platz, indem sie ihre Tüten von ihrem Nachbarstuhl räumte.
Ich ließ mich auf den Stuhl fallen. »Er war schon weg.«
Abends war Tanz. Ich war supergut drauf. Zuerst tanzte und lachte ich mit meinem Freund Professor Weißenreim, der wieder mal zu meiner privaten Erheiterung ein flottes Verslein auf den Lippen hatte:
»Das ist das Verhängnis:
zwischen Empfängnis
und Leichenbegängnis
nichts als Bedrängnis.«
Ich kicherte. »Kästner?«
»Genau. Sie sehen heute besser aus. Haben Sie sich von Ihrer ... Seekrankheit ... erholt?«
»Danke, ja. Ich fühl mich wie neugeboren.«
Und dann tanzten und walzten wir über das Parkett. Ulrich der Belagerer lauerte bereits in einem Plüschsessel hinter seiner Bacardi-Cola, und ich dachte, daß es ein Abend wie jeder andere werden würde.
Zu meiner Überraschung forderte mich danach ein Streifenhorn auf, das ich noch nie gesehen hatte.
»Gnä Frau? Mäm? Wolln S’ mir die Ehre gehm? Let’s dance!«
Meinetwegen. Sollte Fred ruhig sehen, daß sich noch andere Uniformierte um mich bemühten. Das Streifenhorn führte mich galant zum Podium, verbeugte sich – Manieren hatte er, klar, als Vierstreifer! –, und dann walzten wir los! Der konnte tanzen wie ein Gott, und riechen tat er auch gut.
»Fühln S’ Ihnen wohl an Bord, gnä Frau?«
Ach so, ein Pflichttanz. Der mußte mit jeder Schabracke mal eine Runde drehen, das war ein Dienstgespräch.
»Welche Position haben Sie inne?« fragte ich neugierig.
»Hotelmanager.«
»Aber Herr Müller ... der Mann von Mareike ...«
»In Sydney von Bord. I bin der Neue.«
Mareike war weg? Mir nichts, dir nichts? Ohne auf Wiedersehen zu sagen? Was hatte es da gegeben?
»Probleme?«
»Der Kapitän hat sich nicht mit mei’m Vorgänger verstanden. Differenzen, gnä Frau. Aber dös is nix für Sie. Let’s talk about other things.«
»Äm, ja, gern.« Was sollte ich talken mit dem? Hatte der alte widerliche Schulz also Mareike und ihren Mann einfach rausgesetzt. Dieser Mistkerl.
»Sind S’ mit der Kabine zufrieden? All O.K.?«
»Danke, ja, die Heizung funktioniert gut und die Klimaanlage auch, und der Radiowecker ist intakt, und die Klospülung tut’s, und der Fön ist auch O.K. Danke. Alles bestens. Sie müssen mit mir nicht tanzen.«
»O.K.« Der Hotelmanager war kein Freund vieler Worte. Er drehte und schwenkte mich sehr zielbewußt und absolut korrekt im Takt. Er tanzte göttlich. Wir umrundeten großräumig die vielen Paare, die auf der Stelle tanzten. Wo kam der auf einmal her?!
»We should talk
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