Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
servierten die Deckstewards Glühwein und Bratäpfel. Der neue Hoteldirektor mit dem amerikanischen Akzent, der ja eigentlich Österreicher war, hatte das blitzschnell angeordnet.
Fürwahr: Die »MS Blaublut« hatte ihre fünf Sterne wieder verdient! Ich hoffte doch, Gloria würde darüber einen neuen Artikel schreiben!
Bei der Nachfeier hielt ich – wie immer – Ausschau nach Fred.
Und DA war er! Als Nikolaus verkleidet, verteilte er Geschenke an alle, die heute abend mitgesungen hatten. Und das waren siebzig Personen. Schließlich kam Fred auch zu mir.
»Du bist schon ein tolles Mädel!« raunte der Nikolaus unter seinem weißen Bart. »Ich hab dir was mitgebracht.«
Und aus seinem dicken Sack zauberte er breit grinsend eine Rute!
Ich nahm sie milde lächelnd entgegen. »Soll das eine leere Versprechung sein?«
Da sagte der sonst so wortgewandte Mann gar nichts mehr und ging mit seinem albernen Jutesack schnell weiter.
Aber unten an der Rute klebte ein kleiner gelber Zettel, den er mit Geschenkband zu einem Röhrchen zusammengerollt hatte. Darauf stand: »Auckland Stadtrallye?«
Ich war der glücklichste Mensch auf der Welt.
Auckland! Endlich Land unter den Füßen! Nachdem die Zollformalitäten erledigt waren, durften wir Paxe das Schiff verlassen. Ich hatte mir fest vorgenommen, NICHT mehr in der Kabine zu sitzen und auf einen Anruf von Fred zu warten. Ich war ein freier Mensch! Sollte ER doch hinter MIR herlaufen, nicht umgekehrt! Also unternahm ich zuerst mal ein ausführliches Jogging am Meer entlang. Aus der Hafenanlage trabte ich, begleitet von lüsternen Blicken der Leicht- und Schwermatrosen aus aller Herren Länder, und hielt mich an der vierspurigen Straße links. Die Sonne stand schräg über dem Meer, und das Wasser glitzerte in tausend kleinen Lichterkegeln. Ich hatte mir wieder mal die Kopfhörer des Walkmans über die Ohren gezogen und hörte eine Weiterbildungskassette aus dem Rusch-Verlag. »Nie wieder sprachlos« hatte ich bis gestern beim Traben gehört, und heute begann ich mit »Lassen Sie sich nichts gefallen«. Es paßte genau zu meiner Stimmung. Glas und Chrom der Skyline schillerten, von gleißendem Sonnenlicht angestrahlt, wie ein Paradies aus Zuckerwatte und Kandisstangen. Das grelle Weiß der zahllosen Segelboote im Hafen blendete mich. Am liebsten wäre ich mit geschlossenen Augen weitergetrabt. Wie schon in Australien herrschte hier Linksverkehr – auch bei den Joggern! »Hello, Darling!«, »How are you, Babe?« begrüßten mich die entgegenkommenden Läufer freundlich, während sie rechts an mir vorbeiliefen. Ich fühlte mich großartig. Wie immer beim Laufen kamen nach kurzer Zeit die Glückshormone aus ihren Löchern gekrabbelt und versetzten mich in wahre Hochstimmung. Heute noch würde ich mit Fred an Land gehen! Er würde mir diese wunderbare Stadt zeigen! Er wollte sogar eine Rallye mit mir machen! Ich war so weit von zu Hause weg wie noch nie im Leben. Und ich war so frei wie noch nie im Leben. Ich konnte und wollte, nach allem, was passiert war, nicht mehr mit Rüdiger leben. Ich war ein anderer Mensch geworden. Ich gehörte zu Fred. Wir waren beide abgrundtief schlecht.
Ich rannte bis zur Mission Bay – einer Bucht, in der das pralle Leben herrschte: Überall lagerten Familien, picknickten, man spielte Ball, man sonnte sich, badete, segelte, surfte. Großartig. Welch ein Lebensgefühl! Ich hockte mich, jede Zelle meiner pulsierenden Haut genießend, auf einen Baumstamm und schaute den Leuten beim Leben zu. Wenn man bedachte, daß es jetzt Mitte Dezember war! Der zweite Advent! Zu Hause in Geilenkirchen, da schoben sie sich jetzt im Regen und im Dunkeln über den Weihnachtsmarkt, drängten sich zusammen an den Buden, hielten ihre Nasen in die Glühweingläser, der Kirchenchor von Rüdiger stand jetzt sicher irgendwo in einem mit Tannengrün geschmückten Pavillon und sang mit kalten Füßen Choräle ... ach, wie weit, weit weg das doch alles war! In diese Welt gab es einfach kein Zurück mehr! Ich mußte Fred für mich gewinnen! Mir blieben noch drei Tage Zeit!
Der Schweiß lief mir in Strömen am Körper herab. Ich zog die Laufschuhe und Strümpfe aus, deponierte sie neben einem umgekippten Boot und rannte einfach in die warmen Fluten. Niemand störte sich daran, niemand rief: »Wenn das jeder machen wollte!« oder »Das ist nicht gestattet!« Alle lächelten mich an und waren gut drauf.
Ich hatte dieses Land auf Anhieb lieb.
Ja, hier würde ich leben
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