Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
Aperitif zu servieren.
Schulz bohrte sich am anderen Ende des Tisches in den Zähnen. Frau Adlerhorst warf einen Blick zu mir herüber, beugte sich zum Hoteldirektor und fing an zu tuscheln.
Ganz klar. SIE war diejenige, die das Foto hatte.
Ulrich redete begeistert auf mich ein, aber ich hörte ihm nicht zu. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich nur Frau Adlerhorst. Ihr Gespräch mit dem Hoteldirektor wurde immer intimer, und sie beugte ihren Haarturm immer näher an den armen Mann heran. Ihr Haupt hing fast auf seiner Brust. Diese armen Streifenhörner, dachte ich noch, was die sich alles anhören müssen.
Nun näherte sich eine andere Dame, die sich verspätet hatte. Der Hoteldirektor sprang höflich auf, wie alle Herren am Kapitänstisch dies taten, um der Dame die Ehre zu erweisen.
Und was baumelte da am goldenen Knopf seiner Uniform?
Was WAR das? Ein graues flusiges, wirres Etwas!
Ein Nest?! Was war das für Unrat! Am Tisch! Iiiieh!
Ich starrte hinüber. Es war ein Haarteil!
Es war FRAU ADLERHORSTS HAARTURM!!
Niemand hatte etwas bemerkt.
Doch. Die Stewards von gegenüber. Schreckensbleich standen sie da.
Der Hoteldirektor setzte sich wieder, und in diesem Moment fiel ihm auf, daß da etwas an seinem goldenen Uniformknopf hing. Irritiert sah er an sich hinunter.
Die Stewards starrten schreckerfüllt auf ihre Vorspeisen, die sie ratlos in den Händen hielten.
Frau Adlerhorst fühlte auf ihrem Kopf herum. Wo war der Turm?
O Gott! Er hing an ihres Nachbarn goldbeknopfter Brust! Ich fing laut und schadenfroh an zu lachen.
Der arme Hoteldirektor versuchte, das Vogelnest zu entwirren, um es von seinem Knopf loszukriegen. Doch je mehr er fummelte, desto mehr schien es sich zu verzurren!
Tja, so ein Hoteldirektor ist nicht unbedingt Fachmann für Seemannsknoten!
Frau Adlerhorst, auf einmal ungewohnt platt auf dem Kopf, sprang entsetzt auf, um das Etablissement zu verlassen. Der Hoteldirektor folgte ihr, so diskret das eben ging, mit dem Staubsaugergefissel an der Brust.
Er hielt ihr – ganz Gentleman – sogar noch die Tür auf, weil Gerald Gier, der Chefsteward, so in seiner Starre gefangen war, daß er sich nicht rühren konnte.
Ich ließ Ulrich an seinem Zweiertischchen sitzen und rannte hinter dem Unglückspaar her.
Endlich hatte der Hoteldirektor das Ding von seiner Uniform gezerrt. »Hier, bitte, gnädige Frau.«
Sie riß das Vogelnest an sich und stülpte es sich notdürftig auf den Kopf. Es sah zum Brüllen komisch aus.
»Kann ich Ihnen noch irgendwie behilflich sein ...?«
»Nein.« Frau Adlerhorst rannte hektisch die Treppen hinunter, wobei sie das Haarteil erneut verlor.
Die Passagiere, die ihr gerade in feierlichen Abendroben entgegenkamen, hielten indigniert inne. Ich bückte mich und hob den Feudel auf. Sie rannte nur blind weiter. Ich stob hinter Frau Adlerhorst her, die in Panik die Tür zum Crewbereich geöffnet hatte und nun über einen langen, weißgetünchten Gang lief.
Einige Wäsche-Chinesen schleppten Säcke. Sie grüßten freundlich und ließen die panisch Flüchtende passieren.
Wo rannte sie hin?
Sie war kopflos. Im wahrsten Sinne des Wortes, hahaha!
Eine Tür stand offen. Drinnen, in feuchtheißen Nebelschwaden holperten riesige Waschmaschinen vor sich hin. Es roch nach Heißmangel, wie in meiner Kindheit. Mehrere chinesische Wäscher standen schweißgebadet an der Plättmaschine und schoben mit stoischer Gelassenheit Tischdecken und Bettwäsche in den Schlitz. Es war mindestens fünfzig Grad heiß.
Frau Adlerhorst, immer noch die Hände auf ihrem platten Schädel, rannte weiter. Panisch suchte sie nach einem Versteck, an dem niemand sie so sah. Sie verkroch sich hinter dem Wäschetrockner in einem Verlies, in dem auf einem riesigen Haufen nasse, heiße, noch dampfende Bettwäsche lag.
Ich lugte um die Ecke.
Die arme Frau war völlig derangiert. Sie hockte keuchend auf dem Wäscheberg und wimmerte vor sich hin. Tränen liefen ihr über das Gesicht. Der sonst so stolze dürre Tanzkurs-Pfau war ein Häufchen Elend. Sie tat mir leid. Aber Mitleid war jetzt nicht angesagt! Sie hatte das Foto!
Die eifrigen Chinesen schoben gerade einen riesigen Wagen mit fertiger Wäsche aus dem heißen, nebeligen Raum. Sie brachten die Wäsche zu einem Aufzug, mit dem sie nach oben zu den Zimmerstewardessen gelangten.
Das war meine Chance!
Ich stürzte um die Ecke, auf Frau Adlerhorst zu. Sie riß den Mund auf, um zu schreien, aber ich drückte ihr das Haarteil auf Mund und Nase
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