Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
können. Nach allem, was geschehen war. Nur hier. Am anderen Ende der Welt. Wo der Mond auf dem Rücken lag.
Und keiner keinem böse war.
Später trabte ich gemächlich zurück zum Hafen. Das Salzwasser verdampfte an mir. Ich hörte mit halbem Ohr das Weiterbildungsseminar »Lassen Sie sich nichts gefallen«, mit meinen Gedanken war ich natürlich wie immer bei Fred. Fred, Fred, Fred, trabten meine Füße.
So, dachte ich beim Stretchen, als der dicke Schiffsbauch mich wiederhatte, jetzt bin ich zweieinhalb Stunden weg gewesen. Inzwischen wirst du hoffentlich ein bißchen auf mich gewartet haben.
Im Fach vor meiner Kabine steckte ein Zettel: »Bin auf dem Sky Tower, F.« Keine Uhrzeit, kein »Bitte komm schnell, ich erwarte Dich!«. Ich sprang unter die Dusche, kramte nach einer kurzen Hose und einem weißen T-Shirt, stopfte mein knitterfreies Schwarzes und meine Beischlafutensilien mitsamt zwei Jogging-Outfits (man wußte ja nie!) in den Rucksack und war zwanzig Minuten später schon wieder auf dem Weg in die City.
Der Sky Tower war nicht weit. Ich nahm den Aufzug und fuhr mit einer Gruppe Japaner nach oben. Mein Herz raste. Fred! Wenn sich diese Fahrstuhltür öffnete, würde er vor mir stehen! Vielleicht würde er rauchend und lässig am Fenster lehnen, aber er wartete auf mich!
»You are welcome!« Der Fahrstuhlführer lächelte verbindlich, als die Tür sich öffnete. Herzrasen! Fred! Wo?! Schwindelerregende Höhe! Ich blinzelte. Das Panorama der Stadt erschlug mich. In 328 Metern Höhe über den Dächern tastete ich mich vorsichtig über den Glasfußboden. War ja ein netter Gag von den freundlichen Neuseeländern, einen Glasfußboden zu installieren, als kleinen Nervenkitzel. An der Wand stand zu lesen, daß dieser Glasfußboden nur vier Zentimeter dick sei. Aber er würde reichen. Ehrlich. Es wär noch keiner eingebrochen auf dem dünnen Eis. Ich versuchte, nicht nach unten zu blicken, sondern lieber geradeaus. Dort hinten lag die Harbour Bridge, mindestens einen Kilometer lang, auf der die Spielzeugautos entlangkrochen. Aber dann mußte ich doch runtergucken. Meine Füße auf vier Zentimeter dickem Glas. Nur vier Zentimeter!! In mir zog sich alles zusammen. Ich wollte jemanden anfassen, weil mir so schwindelig war. Aber da mußte ich nun allein drüberlaufen. Um mich herum Gekicher und Geschrei. Huch! So hoch! Schwindelig! Pärchen kritzelten Sprüche an die Wände, in allen möglichen Sprachen. Fred! Wo?! Ich tastete mich, meinen Schweißausbruch ignorierend, zentimeterweise weiter. Das Scheißding drehte sich auch noch! Unter mir: Dächer, Straßen, winzige Autos, Schluchten, Kaufhäuser, winzige Menschen, die durcheinandereilten ... nein. Ich durfte nicht runtergucken. Nur geradeaus. Fred! Wo?! Neben mir filmte einer. Er filmte seine eigenen Füße, die sich hoch über der Stadtkulisse langsam weiterbewegten. Meine Güte. Mir wurde schlecht. Ich wollte zu Fred! Wollte seine Hand! Er würde mich halten und beschützen! Tapfer umkreiste ich einmal die Aussichtsplattform. Kein Fred. Bestimmt hatte ich ihn nur übersehen! Ich ging noch einmal andersherum. Ich zwang mich, nur auf die Leute zu schauen, nirgendwo anders hin. Nein. Niemand. Hunderte von fremden Menschen, aber nicht Fred. Erschöpft lehnte ich mich an die Wand, schloß die Augen. In mir drehte sich alles. Was für ein Spiel spielte er mit mir? Natürlich! Die Rallye! Die Kritzelwand. Hatte er eine Nachricht für mich hinterlassen? Ich studierte die vielen Sprüche, Zeichnungen, Schmierereien. In hundert Sprachen. Nein. Nichts. In meinem Rucksack fand ich einen Kugelschreiber. Ich schrieb, mit Grün, direkt neben die Fahrstuhltür: »Fred, wenn Du auf Deine Füße siehst, dann weißt Du, wie ich mich fühle, wenn ich an Dich denke.«
Gerade als ich mich bückte, um den Kugelschreiber wieder in den Rucksack zu versenken, sah ich unten, dreihundert Meter unter dem Rucksack, ein winzig kleines Fredlein im hellblauen Hemd neben dem rosafarbenen Carlton Hotel in ein Taxi steigen. Er sah kurz auf und winkte. Schadenfroh? Hämisch etwa?
»Das darf nicht wahr sein«, stammelte ich verzweifelt.
Ich starrte dem Taxi nach. Es fuhr um einige Straßenecken herum, stand lange, entsetzlich lange an einer roten Ampel, ließ dann noch beim Rechtsabbiegen fünfundzwanzig Touristen vorbei – mein Gott, dachte ich, in der Zeit wäre ich unten gewesen und hätte die Taxitür aufgerissen! – und schlängelte sich dann auf die Uferstraße. Es fuhr in Richtung
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