Mord auf Frauenchiemsee - Oberbayern Krimi
Sorge.
»Leonie ist verschwunden«, sagte sie. »Ich weiß, du hast den ganzen Tag in unserem Stand ausgehalten, aber ich hätte dich gern dabei. Du bist der Ruhepol, die Unaufgeregte, während die anderen leicht aus der Fassung geraten.«
Das klang, als würde Jadwiga wenigstens ein paar von Altheas Eigenschaften schätzen. Apropos Fassung, dachte sie, aber das war jetzt nicht die richtige Zeit, den Drachen anzusprechen.
Sie biss von ihrer Walnusstafel ab und nickte. Natürlich würde sie sich an der Suche beteiligen, aber Leonie konnte genauso gut eine der Fähren aufs Festland genommen haben. Wie die übrigen Besucher, die zurückfuhren.
»Ich habe Leonie bei der Fackelwanderung gesehen, sie sah aus, als hätte man ihr den Todesstoß versetzt.« So hatte sie es eigentlich nicht sagen wollen, aber genau das war Altheas Eindruck gewesen.
Jadwiga schüttete den Kopf. »Andreas Bacher hat bei unserer Unterhaltung etwas ziemlich Seltsames gesagt, es eigentlich nur angedeutet. Wir wüssten gar nicht, wen wir uns mit Leonie Haberl ins Kloster holten. Er tat geheimnisvoll, als wisse er etwas – als wäre Leonie von Grund auf verdorben.«
»Er ist verletzt und zornig.« Althea verteidigte Andreas nicht, stellte nur das Offensichtliche fest. Sie erinnerte sich, dass er etwas ähnlich Verschlüsseltes vorgebracht hatte, als sie gemeinsam in der Küche gesessen hatten.
Sie öffnete ihren Schrank und war einen kurzen Moment unentschlossen. Aber eine Ewigkeitssuche durfte das nicht werden. Sie hatte die Strumpfhose ausgezogen und würde sie jetzt auch nicht wieder anziehen. Zu mühsam. Die Plätzchen verstaute sie in der Tasche ihres Habits, schlüpfte in die warmen Chiemsee-Stiefel und zog sich den Kapuzenmantel an.
»Valentin und einige seiner Gäste beteiligen sich an der Suche«, sagte Jadwiga. »Vergiss die Kerze nicht.«
»Zetas Kerze«, sagte Althea. »Können wir sie überhaupt beerdigen? Der Boden ist gefroren. Sie hätte so gern noch Weihnachten mit uns gefeiert.« Althea pustete das Licht aus.
»Der Friedhofsgärtner sagt, es geht. Und der sollte es wissen.« Jadwigas Gesichtsausdruck besagte, dass sie das zumindest hoffte. »Deine Beine sind nackt«, stellte sie fest. »Du hast doch die warmen Strumpfhosen. Schwester Althea, manches Mal bist du so eitel, als würde jemand unter dein Gewand schauen.«
Die Mitschwestern warteten vor der Klosterwirtschaft, auch Valentin, der Archivar, der Historiker und Dieter Hardy hatten sich zu ihnen gesellt. Susanne Dahm machte ein Gesicht, als würde sie ihr Gewissen drücken oder als verstünde sie die Welt nicht mehr. Vielleicht war es beides.
Jadwiga beschloss, sich aufzuteilen wäre sinnvoll. Eine Gruppe sollte zum Nordsteg gehen, eine andere Richtung Bad, Kiosk und Bootsverleih, und eine kleinere sollte den Weg vorbei am Klosterwirt nehmen und weiter zum kleinen Steg, der zur Abtei gehörte und auf den sich Althea an jedem schönen Sommermorgen setzte und ihre Füße ins Wasser hielt.
In der Dunkelheit schaute man zu den vielen kleinen Lichtern auf dem Festland hinüber, und manches Mal genügte das bereits, um sich ausgeschlossen zu fühlen.
Althea ging mit Dalmetia, die schon wieder ihren Fotoapparat zur Schau trug, der Novizin Susanne Dahm, dem Knochendieb Augustin und den beiden aus der Gruppe der Wissenschaftler, Lichtenfels und Hardy, zum südlichen Steg des Klosters. Die Stelle war im Winter nicht gut einsehbar, weil der üppige Baumbewuchs von kleinen weißen, baumwollartigen Hauben bedeckt war. Nur schmolz diese Baumwolle, wenn man sie anfasste. Die Fähren fuhren hier nicht vorbei, sie legten an den größeren Landungsstegen an.
»Was ist mit Flucht?«, erkundigte sich Dieter Hardy. »Vielleicht hat die Kleine kalte Füße bekommen.«
»Hopplahopp wird eine solche Entscheidung nicht gefällt«, gab Dalmetia bereitwillig Auskunft. »Es ist ein In-sich-Hineinhören, man prüft seine Gefühle.«
»Einen Mann zu heiraten, den man nie gesehen hat, der … wie soll ich es sagen … keinen Körper hat. Eine Braut Christi sein zu wollen. So ein Wunsch ist für mich nicht nachvollziehbar«, sagte Hardy. »Vor allem in dem Alter.«
Damit tat sich sogar Althea schwer, doch das sollte sie besser nicht aussprechen. Dalmetia würde es herumerzählen.
Der Archivar gab seine Meinung kund, die besagte, es habe mit dem Ruf des Herzens zu tun. »Es muss etwas wie ein innerer Drang sein.«
Althea hörte Hardy hüsteln. Sie hätte den Knochendieb gern gefragt, ob es
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