Mord auf Frauenchiemsee - Oberbayern Krimi
Gedanken an das Leben verbannen, die Seele war längst entwichen. Leonie fror nicht mehr, konnte die Kälte nicht empfinden. Obwohl Althea das wusste, hätte sie die junge Frau am liebsten ins Warme gebracht. Doch in diesem Körper pulsierte nichts mehr, ob warm oder kalt, das war egal.
Kleine Wellen trugen die Tote ein Stückchen hinaus und brachten sie dann wieder zurück. Ihr Mörder hatte sie so platziert, dass Kopf und Oberkörper im Wasser lagen und die Beine am Ufer. Es war kein beruhigendes Bild, und es wirkte gestellt.
Karl Lichtenfels und Dieter Hardy verständigten sich durch Handzeichen, wie sie Leonie am besten anfassten, um sie auf die Trage zu legen. Seitlich, wegen der Fesseln.
Althea schloss ihr die Augen. Zu Jadwiga sagte sie: »Ich habe Fotos von der Auffindesituation, wir sollten es wagen, die Fesseln durchzuschneiden.«
»Das wird den Beamten nicht gefallen, aber ich stimme dir zu.«
Althea nahm das Taschenmesser aus ihrem Brustbeutel.
So hatte sie nebenbei Gelegenheit, einen genaueren Blick auf die Knoten zu werfen. Jemand hatte einen Dreifachknoten gebunden. Wollte der Mörder damit etwas Bestimmtes sagen? Psychologie hin oder her, aus der Art, wie jemand einen Knoten band, konnte man einiges ablesen. Wenn man es konnte.
Nachdem Althea Hände und Füße vom Bast befreit hatte, konnten sie Leonie auf der Trage zurechtlegen.
Der kleine Totenzug nahm Aufstellung, und langsam gingen sie den Weg zurück zum Kloster. Hinter einigen der hell erleuchteten Fenster konnte Althea eine Bewegung erkennen.
Vielleicht sah man von oben die Trage, ganz sicher sogar, doch Althea hatte ein Stück von der Plane mitgenommen, mit der sie auch die Eiche eingeschlagen hatte, und sie über Leonie gelegt. Wer den seltsamen Transport beobachtete, wusste nicht, was sich unter der Plane befand.
Der Klosterwirt war offenbar mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Althea hatte mitbekommen, wie er Jadwiga nach der Polizei gefragt hatte. »Es war an dem Abend, als der Blitz einschlug …«, hatte er angefangen, aber keiner von ihnen hatte erfahren, was an jenem Abend gewesen war.
»Diese Fesselung«, sagte Karl Lichtenfels, »sie erinnert an eine Hexenprobe. Auch wenn das gerade niemand hören möchte.«
Jadwiga erwiderte: »Da haben Sie recht, das will niemand hören!«
Althea wusste genau, was sie nicht in dieser Runde besprechen wollte, schon weil Valentin Zeiser aufmerksam die Ohren spitzte.
Dieter Hardy hingegen kümmerte sich nicht darum, er wusste vielleicht nicht viel über Hexerei. Dafür aber etwas anderes. »Das zieht Kreise«, sagte er. »Unsere Frau Servus hat am Körper der Mumie etwas entdeckt. Die Ergebnisse werden Sie in Kürze bekommen, schwarz auf weiß. Von mir nur so viel: Das Zeichen ist ein Stern. Fünfzackig.«
Die Äbtissin sagte dazu kein Wort. Der Klosterwirt stieß ein erstauntes »Ah« aus, und Althea ließ sich ein wenig zurückfallen, bis sie neben Karl Lichtenfels ging. Sie zupfte den Historiker am Mantelärmel. »Erzählen Sie«, forderte sie ihn auf.
»Das ist wahrlich pikant«, meinte er. »Ein Hexenstern, und jetzt auch noch Judicium aquae frigidae .«
Althea übersetzte für sich: die Kaltwasserprobe, weil es auch eine Heißwasserprobe gab. Man sagte dazu auch Gottesurteil.
»Zur Zeit der Hexenverfolgungen wurde sie eingesetzt, um den Hexereiverdacht gegen die angeklagten Frauen zu widerlegen oder zu bestätigen. Eingeführt wurde das Hexenbad vermutlich von Papst Eugen II .« Lichtenfels betonte, dass einer der Stellvertreter Gottes auf Erden so etwas Grausames ersonnen hatte.
»Der oder die Angeklagte wurde mit den Daumen an die gegenüberliegenden Zehen gefesselt, an ein Seil gebunden und in ein Gewässer geworfen. Dazu wurde eine Gebetsformel gesprochen: ›Lass das Wasser nicht empfangen den Körper dessen, der, vom Gewicht des Guten befreit, durch den Wind der Ungerechtigkeit emporgetragen wird.‹ Man glaubte, das reine Element Wasser würde Hexen und Hexer abstoßen. Oder, dass Hexen leicht sein mussten, sonst könnten sie ja nicht fliegen. Falls der Angeklagte oben schwamm, galt dies als Beweis für Hexerei, wenn er unterging, zählte das nicht, denn dann ließ man die Person einfach ein wenig länger unter Wasser.«
Lichtenfels schlug den Kragen seines Mantels hoch. »Dem Tod entkam auf diese Weise kaum jemand.«
»Leonie war aber auf andere Art gefesselt. Die Zahl der Knoten ist ungerade, ich habe drei gezählt.« Althea gab wieder, was ihr aufgefallen
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