Mord auf Frauenchiemsee - Oberbayern Krimi
des Archivars, vielleicht auch am angespannt wirkenden Lichtenfels. Kannten sich die beiden?
»Verstörend. Ich bekomme das Bild nicht aus dem Kopf. Diese Verschnürung, und dass sie kaum etwas am Leibe trug. Damit sollte etwas mitgeteilt werden, nicht wahr?« Dr. Seidels Stimme verriet seinen inneren Aufruhr.
Wollte er auf etwas Bestimmtes hinaus?, fragte sich Althea.
»In früheren Jahrhunderten fand diese Methode des Öfteren Anwendung. Jemand glaubt wohl, eine Hexe getötet zu haben«, sagte Lichtenfels. Er klang kühl.
»Die jungfräuliche Leonie eine Hexe … ein schwerer Schlag für die Abtei.«
Althea meinte, Verständnislosigkeit und Bestürzung herauszuhören, so als hätte außer den Angehörigen und dem Kloster auch er diesen Schlag zu verkraften.
Der Historiker verdeckte sie mit seinem Rücken, vielleicht konnte sie noch einige Dinge aufschnappen. Doch da hatte Dr. Seidel sie schon entdeckt. »Schwester Althea.«
Beide wandten sich ihr zu. Über Lichtenfels’ Gesicht huschte ein kleines Lächeln. In Anbetracht der zu erwartenden Rezeptur der Marzipanbowle?
An Lichtenfels gewandt, beendete Seidel das Gespräch: »Ich habe gehört, Sie sind eine Koryphäe, was die Datierung von Schriftstücken und alter Kunst angeht. Die Kirche hat einige – nennen wir es vorsichtig – fragwürdige Stücke, die begutachtet werden müssten. Wenn ich darf, würde ich gern Sie als Experten vorschlagen.«
Lichtenfels nickte nur, als hätte er solche Angebote eigentlich nicht nötig. Er nahm den Koffer auf. »Sie entschuldigen uns, der Drache des heiligen Georg …«
Althea wünschte dem Archivar einen schönen Abend. In Wahrheit wünschte sie ihm einen Stromausfall im Archiv. Der Kerl suchte etwas, aber wie es schien, hatte er es noch nicht gefunden.
Der unschöne Heilige war versteckt worden. Er hatte nur zu besonderen Gelegenheiten das Licht erblickt, nämlich immer dann, wenn der Spender dem Kloster einen Besuch abstattete. Und jetzt war dieser verstorben, und der Georg blieb samt Drache im Verborgenen.
»Der muss ja ganz fürchterlich anzuschauen sein«, meinte Lichtenfels belustigt, als ihn Althea immer tiefer in das Herz der Abtei führte.
Es war keine Abstellkammer, doch wurde hier einiges gelagert. Ausrangierte Möbel, Statuen und Wäsche. Es war dunkel, trocken, und es herrschte eine konstante Temperatur.
Althea schaltete das Licht ein. Das Laubfroschgrün sprang sofort ins Auge. Der Georg und sein Drache waren in der Tat fürchterlich anzuschauen.
In der nächsten halben Stunde beobachtete sie, wie kleine Partikel der Fassung in eine Flüssigkeit getaucht und das Holz darunter untersucht wurde. Althea konnte sich denken, was Lichtenfels gleich sagen würde, aber gedacht war eben nicht belegt.
»Keine brillante Handwerksarbeit. Die Figur war nicht gefasst, dieser Anstrich kam später. Durch jemanden, der nichts davon verstand. Man hätte sie besser naturfarben belassen. Ich würde trotzdem sagen, Ende 19. Jahrhundert. Wahrscheinlich ein sogenanntes Gesellenstück, aber aus dem wurde sicher nie ein Meister.«
Kein Ass im Ärmel, aber wenigstens die verlässliche Information einer Koryphäe. Althea zuckte die Achseln. »Schade, zumindest ein bisschen. Keine zu erwartenden Reichtümer.« Sie fischte in ihrem Habit nach dem Rezept.
»Ich hätte Ihnen gern etwas Erfreuliches gesagt.« Er packte die Utensilien wieder in den Koffer. Altheas Rezept steckte er mit einem freudigen Lachen in die Hemdtasche.
Sie warf einen Blick auf die Fläschchen. Mit den zusammengemischten Inhalten könnte man ein ganzes Kloster vergiften. Gerade als sie etwas dazu bemerken wollte, sah sie das Foto. Es zeigte ein Porträt der seligen Irmengard. Ein Detail war vergrößert und hervorgehoben. Ihre Hand.
Karl Lichtenfels klappte den Koffer zu. »Ich habe gehört, Sie wurden niedergeschlagen. Wie geht’s Ihrem Kopf?«, erkundigte er sich.
»An meinem persönlichen Firmament sind augenblicklich mehr Sterne zu bestaunen als dort oben am Himmel«, gab sie zurück.
»Sie sollten besser auf sich achten.«
Das sollte sie wohl. »Und Sie, werden Sie Dr. Seidels Angebot in Betracht ziehen?«
»Völlig weltfremd, der Herr Archivar. Nein, ich denke nicht. Außerdem hat er mir nichts anzubieten.« Er grinste und tippte auf die Brusttasche seines Hemdes.
»Hat er nicht?« Es war Neugier. Natürlich würde sie nicht sagen, dass sie einen kleinen Teil der Unterhaltung belauscht hatte.
Karl Lichtenfels drehte den Kopf
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