Mord auf Raten
gar nicht gesagt?«
»Offen gestanden nein, ich hatte noch nicht den Mut dazu. Vorgestern waren Jochen und Christine hier, um mir ihr Beileid auszudrücken. Zum Glück war Melanie bei einer Freundin. Ich weiß, ich bin ein Feigling.«
»Sprechen Sie bald mit ihr, bitte. Ich habe selbst zwei Töchter, die zwar etwas älter sind, aber sie würden es als großen Vertrauensbruch empfinden, wenn ich ihnen etwas derart Wichtiges verheimlichen würde.«
»Sie haben Kinder? Das hätte ich nicht erwartet. Wie alt sind sie?«
»Zwölf und vierzehn. Ein schwieriges Alter, vor allem,wenn man Vater und Mutter in einer Person ist. Meine Frau hat sich von mir getrennt.«
»Dann stimmt also das Klischee, dass die meisten Polizistenehen zum Scheitern verurteilt sind.«
»Nur zum Teil. Unsere Scheidung hatte nichts mit meinem Beruf zu tun. Aber um noch mal auf Ihre Ehe zurückzukommen, weiß irgendjemand außer mir von Ihren Eheproblemen?«
»Ich habe das schon lange nicht mehr als Problem gesehen, ich habe es einfach akzeptiert. Und nein, ich habe bis jetzt mit keinem direkt darüber gesprochen.«
»Auch nicht mit Ihrem Schwager oder Ihrer Schwägerin?«
»Christine gegenüber habe ich mal Andeutungen gemacht, mehr aber auch nicht. Vielleicht weiß sie’s, und wenn, ist es mir auch egal. Ich muss dazu gestehen, dass ich mit ihr nicht sonderlich gut klarkomme. Das liegt aber nicht an ihr, die Chemie zwischen uns stimmt einfach nicht. Mit Jochen komme ich viel besser aus, auch wenn wir uns manchmal im Zynismus übertreffen. Ich könnte nie mit ihm zusammenleben, wir würden uns vermutlich zerfleischen, trotzdem ist er ein liebenswürdiger Typ. Er ist ganz anders als Klaus, und ich habe ihn und Christine oft um ihre Ehe beneidet. Die zwei verstehen sich echt blendend.« Sie stockte, lachte kurz auf und sagte: »Wissen Sie, wie ich mir im Moment vorkomme? Wie eine Patientin, die sich bei ihrem Therapeuten ausheult. Ich habe das noch nie gemacht, ich habe immer alles in mich hineingefressen. Die einzige Freude, die ich in den vergangenen Jahren hatte, waren Melanie und wenn ich mich in meine Phantasiewelt des Schreibens zurückziehen konnte. Ich bin nur selten unter Menschen gekommen, außer wenn ich einkaufen war, aber da lernt man in der Regel auch niemanden kennen. Oder wennich Lesungen hatte. Ansonsten fühle ich mich einsam und allein.«
»Wo wollten Sie denn eben hin?«
»Zu einem Beerdigungsinstitut, um einen Sarg auszusuchen. Irgendwer muss sich ja um das alles kümmern. Ich bin froh, wenn es vorbei ist, ich hasse nämlich Beerdigungen, auch wenn ich Friedhöfe liebe. Womit ich wieder bei Liebe und Hass wäre. Wann glauben Sie denn wird die Beerdigung sein können?«
Brandt zuckte mit den Schultern. »Ich kann es nicht genau sagen, aber ich nehme an, die Leiche wird bald freigegeben werden.« Er schaute auf die Uhr, fast anderthalb Stunden war er jetzt schon bei Katharina Wedel, aber er hatte mehr über ihren Mann erfahren als von allen andern zuvor, die mit ihm zu tun hatten. Und er hatte zum ersten Mal Katharina von ihrer wahren, verletzlichen Seite kennen gelernt. Das Verhalten, das sie bei den vorherigen Begegnungen ihm gegenüber an den Tag gelegt hatte, war nichts als ein Schutzwall gegen Eindringlinge in ihre Privatsphäre gewesen, wo sie ihre intimsten und persönlichsten Gedanken und Gefühle hortete, wo sie niemandem Zutritt gewährte, wo sie sicher war. Ein Schutzwall aus Härte, Spott, Zynismus und kühler Distanziertheit. Ein Schutzwall, erbaut nach Enttäuschungen und bitteren Erfahrungen und Demütigungen. Aber jetzt hatte sie die einzige Tür geöffnet, die in dieses tiefste Innere führte.
Brandt war froh, allein mit ihr gesprochen zu haben, denn er war sicher, dass er, wäre Eberl oder irgendjemand anders, Andrea eingeschlossen, dabei gewesen, niemals all diese aufschlussreichen Informationen erhalten hätte. Hatte er Katharina Wedel noch am Mittwoch als kalte Hundeschnauze bezeichnet, so revidierte er nun seine Meinung über sie.
Er stand auf, reichte ihr die Hand und sagte: »Ich danke Ihnenfür dieses offene Gespräch, Sie haben mir sehr geholfen.«
»Inwiefern? Ich habe Ihnen doch nur etwas vorgejammert.«
»Sie haben mir sehr viel über Ihren Mann erzählt. Es könnte sein, dass ich trotzdem noch die eine oder andere Frage habe.«
»Sie wissen ja, wo ich wohne«, sagte sie lächelnd, ein Lächeln, das er so bei ihr noch nicht gesehen hatte. Freundlich und offen. »Glauben Sie, dass Sie den
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