Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord auf Widerruf

Mord auf Widerruf

Titel: Mord auf Widerruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
Vom Netzwerk:
nicht. Wenn wir davon ausgehen, daß unsere dunkle Lady wirklich eine Dame ist, kann ich keinen Hinweis auf ein Menopausensyndrom finden oder auf ein Gemüt, das sich als alt empfindet. Die untere Altersgrenze ist nur die der potentiellen Geschlechtsreife. Kann ich fortfahren?«
    »Ich bitte darum«, erwiderte Pascoe und versuchte, eine so undurchdringliche Maske wie Wield aufzusetzen.
    »Okay. Unsere dunkle Lady ist intelligent und kann lesen und schreiben, das liegt auf der Hand. Aber Sie sollten sich von dem Vorurteil befreien, daß dies gleichbedeutend mit gebildet oder Mittelschicht ist. Das könnte zwar der Fall sein, ist aber durch nichts belegt, was ich in diesen Briefen erkennen könnte. Noch bedeutet ihre offensichtliche Vertrautheit mit der Hagiologie, daß sie fromm sein muß, obwohl ich davon ausgehen würde, daß sie katholischer oder anglikanischer Abstammung ist. Oder daß es sich sogar um eine Reaktion gegen eine streng nonkonformistische Erziehung handelt. Weiter kann ich nicht gehen, was das, wie wir es nennen könnten, äußere Profil anlangt. Nichts über Arbeit, Familienstand, Politik, bevorzugtes Waschpulver et cetera. Nicht gerade viel für eine Gegenüberstellung, nicht wahr?«
    »Ein Deckel, der auf viele Töpfe passen würde«, stimmte Pascoe zu. »Und das innere Profil?«
    »Haben Sie schon häufiger mit Selbstmördern zu tun gehabt, Mr. Pascoe?« fragte Pottle.
    »Als junger Polizist habe ich einige Male die Reste aufgelesen, einmal fast buchstäblich. Jemand hatte sich vor einen Zug geworfen … Und eine Menge Autounfälle kamen mir unerklärlich vor, wenn man nicht einen gewissen Grad an Absicht unterstellte. Seit ich bei der Kripo bin, hatten wir mindestens zwei Selbstmorde in Verbindung mit Fällen, an denen ich gearbeitet habe.«
    »Sie haben also mehr praktische Erfahrung als die meisten Menschen. Und was die Theorie betrifft? Sie haben Gesellschaftswissenschaften studiert, nicht wahr?«
    »Ich habe mich kurz mit Durkheim befaßt, aber mehr methodologisch als inhaltlich.«
    »Durkheim«, sagte Pottle abfällig, »ich war davon ausgegangen, daß selbst die Soziologen ihn heutzutage als ziemlich irrelevant einstufen, wenn man von der Historie einmal absieht.«
    »Ich habe mich auch mit moderneren Sachen befaßt«, verteidigte sich Pascoe.
    »Seit Sie der Polizei beigetreten sind?« fragte Pottle. »Nein? Vermutlich zu beschäftigt mit dem Aufsammeln der Reste, um sich um die Theorie kümmern zu können.«
    »Ich bin hier, weil ich nicht will, daß es Stücke gibt, die ich aufsammeln muß«, erklärte Pascoe wütend. Und dann wurde er noch wütender, weil ihm Pottle unter die Haut gegangen war.
    »Ich soll Ihnen also sagen, ob sie es ernst meint mit ihrer Absicht, sich umzubringen? Und wenn ich Ihnen sage, daß es ihr ernst ist, was dann? Wie sie selbst sagt, ist es kein Verbrechen. Also kaum eine Angelegenheit für die Polizei.«
    Pascoe war sich sehr wohl darüber im klaren, wie Dalziel reagieren würde, wenn er herausfand, wieviel Zeit und Geld er für die Briefe ausgab. Doch es war schließlich Dalziel gewesen, der ihn überhaupt erst auf das Problem aufmerksam gemacht hatte. Dalziel, der sich so sicher gewesen war, daß der dritte Brief kommen würde.
    Er sagte: »Es wäre ein Verbrechen, nichts zu unternehmen, denke ich.«
    Pottle grinste plötzlich. »Da haben Sie völlig recht. Lassen Sie uns fortfahren. Ich interpretiere die Briefe dahingehend, daß die Verfasserin es ohne Zweifel ernst meint. Es ist eine altbekannte Sache, daß Selbstmörder ihre Absicht mit deutlichen Hinweisen kundtun. Teilweise, weil die Gefühle überkochen und ein Ventil brauchen, wenn sich die tödliche Handlung nähert. Teilweise sind die Hinweise auch eine Warnung, eine Bitte einzugreifen. Und teilweise geht es dabei auch um Trost beziehungsweise um das Übertragen der Verantwortung. Unsere dunkle Lady gibt selbst zu, etliches davon zu durchschauen und deshalb den Drang, sich zu verraten, kanalisiert zu haben.«
    »Aber warum Mr. Dalziel als diesen Kanal wählen?«
    »Mehrere Gründe. Einen führt sie auf. Ihr geliebter Boß steht im Ruf, ein harter Mann zu sein. Sie will kein blutendes Herz, sie will niemandem weh tun. Vor allem möchte sie die Dinge im Griff behalten, und ich bin sicher, daß sie sich einbildet, deshalb an Dalziel zu schreiben.«
    »Sie sagen, daß sie sich das
einbildet
«, sagte Pascoe stirnrunzelnd. »Sie meinen, da ist noch etwas?«
    »Sehr scharfsinnig«, sagte Pottle

Weitere Kostenlose Bücher