Mord im Atrium
Trinken, die Benutzung hygienischer Einrichtungen, Wärme, Zuspruch – Hoffnung.«
»Also, Anacrites hat Ganna jedenfalls aller Hoffnung beraubt.«
»Das ist nicht tödlich. Und es muss auch nicht von Dauer sein.«
»Bist du genauso hart wie er? Nein, Marcus. Du setzt bessere Taktiken ein. Zielführendere. Als Erstes würdest du sie auf die Risiken ihrer Situation hinweisen und die Möglichkeiten, etwas zu gewinnen, wenn sie mitmacht.« Missmutig verzog Helena das Gesicht. »Ich habe versucht, Anacrites zu überreden, deine Methoden anzuwenden. Ich wies ihn darauf hin, dass ihr beide an diesem Problem arbeitet – zusammenarbeitet.« Ich machte Kotzgeräusche. Sie ignorierte es. »Zusammenarbeitet, wie ihr es während des großen Zensus getan habt. Ich sagte, ihr beide verdanktet euren momentanen Wohlstand und euer hohes gesellschaftliches Ansehen dieser Erfahrung. Keiner von euch beiden sollte das vergessen.«
Diesmal wählte ich die niveauvollere Vorgehensweise und knallte einfach meinen Becher hart auf den Terrassentisch. »Und?«, fragte ich kalt.
Helena kicherte. »Oh, es hat funktioniert, Marcus. Anacrites hat genau dasselbe gemacht, was du getan hättest.«
»Das wäre?«
»Er blaffte, vielleicht wolle ich ja dann lieber die Fragen stellen.« Wir glucksten beide, dann gab Helena zu: »Natürlich meinte er das sarkastisch, aber ich sprang sofort darauf an, dankte ihm und nahm ihn beim Wort.«
Ich erlaubte mir, schallend zu lachen. Jetzt genoss ich die Geschichte. Ich wünschte, ich hätte gestern ein Gecko in einer Ecke des Vernehmungsraums sein können.
»Als Erstes schlug ich vor, es uns etwas bequemer zu machen; ich bat, den Abtritt benutzen zu dürfen. Ganna war schlau genug, mitzukommen. Wir wurden zwar von einem Sklaven überwacht, doch es gelang uns, kurz miteinander zu sprechen, und ich bimste ihr ein, je mehr sie sagte, desto besser würde es aussehen und umso leichter würde es für sie werden. Und …« Helena hielt inne und überlegte.
»Dieses ›und‹ klingt bedeutungsvoll.«
»Nein, da war nichts. Als wir zurückkamen, stellte ich also die Fragen, und Ganna gestand so gut wie alles.« Ich bemerkte Helenas »so gut wie«, ließ sie aber mit ihrer Version weitermachen.
Manches wussten wir bereits. Wie die beiden Frauen im Haus von Quadrumatus insgeheim geplant hatten, mit dem Wäschekarren zu fliehen, wie das Veleda dann gelang, aber allein. Wie Veleda Zosime aufgesucht hatte, danach zum Tempel der Diana gekommen war, wo eine Priesterin ihr aus schwesterlichem Mitgefühl Zuflucht gewährt hatte, während Ganna – inzwischen in der Wohnung meiner Mutter untergebracht – den Tempel besuchen und ermutigende Nachrichten hinterlassen konnte. Ihr wurde nie erlaubt, direkt mit Veleda zu sprechen. Doch die Tempelgehilfen beruhigten sie stets – bis gestern, als Ganna dort hinlief, nachdem meine Schwestern ihr Angst eingejagt hatten, und die Gehilfen behaupteten, Veleda sei nicht mehr da. »Ganna war weggelaufen, weil sie deine Schwestern sehr beängstigend fand.« Ich fand sie ebenfalls furchterregend.
»Und wo ist Veleda jetzt?«, fragte ich und sah Helena durchdringend an.
Helena nahm meinen prüfenden Blick gelassen hin. »Ganna behauptet steif und fest, es nicht zu wissen. Anacrites ist wild entschlossen, hochtrabende Forderungen an den Oberpriester zu stellen. Ein schlimmer Fehler.«
»Fallen denn Tempel nicht in seinen Zuständigkeitsbereich?«
»Sag das mal den Tempelpriestern! Man sollte die Macht solcher Institutionen nicht unterschätzen. Selbst der Kaiser würde hier vorsichtig vorgehen. Ich glaube, sie werden Anacrites rundweg abblitzen lassen – und wenn auch nur wegen der Freveltaten, die gestern Nacht in seinem Namen von den Prätorianern begangen wurden.«
»Das war dämlich.« Er hätte den Einsatz vorher mit dem Tempel absprechen sollen.
Helena nickte. »Er versteht nichts von Diplomatie. Wie auch immer, es könnte sein, dass die Priester wirklich nichts von Veledas momentanem Aufenthaltsort wissen. Wenn sie spürte, dass die Verfolger ihr dicht auf den Fersen waren, könnte sie sich überstürzt abgesetzt haben, ohne ihre Pläne zu enthüllen.«
Das überzeugte mich nicht. Sie war krank, fremd hier und vermutlich knapp bei Kasse. Der Tempel der Diana Aventinensis mochte zwar nicht erfreut gewesen sein, eine geflohene Barbarin am Hals zu haben, aber sobald sie die Frau bei sich aufgenommen hatten, würden sie die Sache auch durchziehen. »Wo könnte sie
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