Mord im Atrium
nichtssagend. Wenn er einen Splitter im Finger diagnostizierte, würde er das genauso ausdruckslos tun. Ich würde diesen Mann nicht einmal damit betrauen, Kotze aufzuwischen – was er sowieso nicht tun würde. Er meinte weit über dieser Ebene der Krankenversorgung zu stehen.
»Es widerstrebt mir, seine trauernden Verwandten nach ihm zu befragen«, mischte ich mich mit festem Ton ein. »Aber da die Seherin ihn anscheinend getötet hat, muss ich Nachforschungen über Scaeva anstellen und über seine mögliche Beziehung zu ihr. Da er Ihr Patient war, müssten Sie ihn doch gut gekannt haben.«
»Ein reizender junger Mann.«
Solche Klischees waren genau das, was ich von einem Wichtigtuer mit Ziegenbärtchen erwartet hatte. »Warum haben Sie ihn behandelt? Welche Krankheit hatte er?«
»Schnupfen und …« Mastarna räusperte sich leicht, »Halsschmerzen. Im Winter litt er stark unter Katarrh.«
»Könnten Sie mir sagen, wie Sie ihn behandelt haben?«
»Das unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht.«
»Er ist tot, Mastarna. Er kann Sie nicht verklagen. Erschöpfungszustände und das Leiden an Kinderkrankheiten in fortgeschrittenem Alter sind für gewöhnlich sowieso kein Familiengeheimnis.« Normalerweise führten sie auch nicht zur Enthauptung, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für Arztwitze, denn Mastarna fehlte jeder Sinn für Humor. »Was haben Sie für ihn getan?«
Mastarna war sichtlich verärgert, erwiderte jedoch nur: »Das sind jahreszeitlich bedingte Erkrankungen. Schwer zu kurieren.«
Helena beugte sich vor, den Stilus über der Notiztafel zwischen ihren langen Fingern erhoben. »Sie gehören der dogmatischen Schule an, vermute ich?«
Eine solche Frage, gestellt von einer Frau, überraschte Mastarna. »Unsere Diagnosen sind wissenschaftlich fundiert. Wir studieren den menschlichen Körper mittels Forschung und theoretischen Erkenntnissen.«
»Forschung? Sie befürworten das Sezieren von Leichen?« Helena hatte ein umstrittenes Thema angeschnitten. Augenblicklich verschleierte sich Mastarnas Blick. »Haben Sie Scaeva seziert?« Beinahe hätte ich mich verschluckt. Ich galt zwar als freimütig, aber Helena konnte regelrecht unverschämt werden. Ob sie dieses Hintergrundwissen wohl dem entnahm, was sie von Zosime erfahren hatte? Nicht unbedingt. Helena war es durchaus zuzutrauen, in eine Bibliothek zu eilen, während ich gestern in Floras Caupona rumgehangen hatte, dann zu Hause alles über medizinische Denkschulen nachzulesen, die Schriftrolle in der einen Hand und mit der anderen die Decken in den Kinderbetten feststeckend. Ihr Ausdruck blieb voll freundlichen Interesses, während sie dem Arzt ihre brutalen Fragen stellte. »Ich habe mir überlegt, ob die Familie wohl mit einer Autopsie einverstanden war, da jemand die Prozedur ja bereits in Gang gesetzt hatte …«
Mastarnas Augen funkelten vor Zorn. Aber wieder blieb sein Ton gelassen. »Nein, ich habe post mortem keine Untersuchung an Scaeva durchgeführt. Ich habe mich auch nicht darum bemüht. Leichen aufzuschneiden verstößt gegen das Gesetz, junge Frau. Und hat das, bis auf eine kurze Zeit in Alexandria, auch immer getan.« Er ließ Alexandria wie einen Hort der Verderbtheit klingen. Was den gelehrten Liberalen in der größten Bibliothek der Welt wohl neu sein dürfte.
Ich war mir ziemlich sicher, dass Scythax, der Arzt der Vierten Kohorte der Vigiles, mehr als einmal anatomische Forschungen an den Überresten toter Verbrecher durchgeführt hatte, unterließ es aber, das zu erwähnen. Nachdem die Verbrecher den Löwen zum Fraß vorgeworfen wurden, blieb von ihren Leichen sowieso nicht mehr viel für Scythax zum Schnippeln übrig.
Nun war es an mir, etwas gegen den Frosch in meinem Hals zu unternehmen. »Sagen Sie mir, Mastarna, haben Sie auch Veleda behandelt? Sie ist auf der Flucht, und für mich ist es wichtig, etwas über ihre körperliche Verfassung zu erfahren.«
»Meiner Meinung nach war die Frau hysterisch«, erwiderte Mastarna kurz angebunden. Ich sah, wie Helena die Stacheln aufstellte. Ohne das zu bemerken, fuhr Mastarna fort, seiner Verdammnis zuzusteuern. »Hysterisch im medizinischen Sinne. Ich diagnostizierte bei ihr den klassischen Fall einer ›wandernden Gebärmutter‹.« Ich hatte Helena gegen Ärzte wettern hören, die alle weiblichen Beschwerden als neurotisch abtaten, und ihr war vor allem die griechische Vorstellung zuwider, weibliche Organe würden sich im Körper herumbewegen, eine Art
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