Mord im Bergwald
Essen verputzte. Der Regen begann zu prasseln. Irmi bestellte sich ein Käsebrot und Veltliner, und Vitus balancierte eine Runde Obstler herein.
Er zwinkerte Katja zu. »Nix für ungut, Madl, dank dir recht schön.« Sie prosteten sich zu.
»Was i ned versteh«, sagte Vitus nach einer Weile eher beiläufig. »Wie is der auf den Soiernweg auikemma? Des is doch a narrischer Weg.«
»Ich bin den gelaufen«, sagte Kevin. »Ist wirklich ziemlich weit. Drum konnt ich dann auch nicht mehr.«
»Respekt, Bua, Respekt.«
Irmi stoppte mit Blicken die anderen, hieß sie schweigen. Vitus würde den Jungen schon zum Reden bringen. Von Mann zu Mann. Viel besser, als jeder und jede andere das gekonnt hätte. Sie inklusive.
»Was i ned versteh«, begann er von Neuem. »Du wohnst doch in Wallgau. Warum bischt ned vorne aui, von Krün?« Er sah Kevin dabei nicht an.
»Ich wollt ja nicht gesehen werden«, sagte Kevin leise.
»Ja, aber wie bischt dann nach Vorderriß kemma, Bua?«
»Mit dem Radl.«
»Die ganze Strecke? Und dann no zu Fuß aui. Ja, Bua, des is ja a Marathon. A Berglauf!«
»So schwer war das nicht. Ich bin mit dem Radl an der Isar entlang, nicht über die Mautstraße, weil ich ja nicht gesehen werden wollte. Aber dann wurde der Weg so steil.«
»Da hast du recht, Bua! Ja, und dann bischt zu Fuß weiter?«
»Genau, ich hab ja auch eine Karte im GPS. Ich wollt zur Alm, aber da war so ein Signal, dem bin ich nach. Bis zu der Höhle ...« Er brach ab. »Ich konnte dann einfach nicht mehr weitergehen. Ich musste sitzen bleiben. Ich weiß nicht, warum.«
Irmi wusste, warum. In solchen Situationen versagte der Körper seine Dienste.
»Guat, Bua, ganz guat«, murmelte Vitus.
Kevins Augen waren weit aufgerissen. »Und der, der ...?«
»Kevin, der hot an Unfall g'habt. Des kimmt scho vor in den Bergen. Deswegn soll ma ned alloa losgehn. Versprich mir's! Des machst nimma, ja?«
Kevin nickte.
»Aber der, der ...?«
»Den holn mir nachad scho. Der muass ja unter die Erden. Mach dir koane Sorgn, Kevin.«
Vitus machte das völlig richtig. Totschweigen wäre falsch gewesen. Der Junge hatte den Leichnam gesehen. Das war nicht wegzudiskutieren. Mit einer Augenbewegung dirigierte Irmi Herrn Seibold nach draußen. Das Gewitter war abgezogen. Hie und da grummelte es noch. Das klang eher versöhnlich. Der Regen hatte fast aufgehört.
»War Kevin wirklich mit einer Leiche in der Höhle? Der Mann, von dem der Finger und das Ohr stammen, ich meine ...« Die Stimme des Vaters bebte.
»Das müssen wir alles noch klären. Dafür haben wir Fachleute. Und was Kevin betrifft: Ich glaube, er kann das verarbeiten. Brauchen Sie Hilfe?«
»Meine Frau ist Psychologin. Ich ...«
»Dann wissen Sie ja, was zu tun ist. Falls Sie außerfamiliär Hilfe brauchen sollten, können Sie mich jederzeit anrufen. Vitus sicher auch.« Irmi reichte ihm ihre Karte.
»Herr Weingand hat das grandios gemacht. Ich weiß gar nicht, wie ich ihm danken soll. Und dabei war ich so, so ...«
»Unfreundlich?«, fragte Irmi und lächelte aufmunternd. »Ich glaube, Vitus ist mit einem einfachen Danke zufrieden. Geben Sie ihm die Möglichkeit, sich mal wieder mit Kevin zu treffen. Er hat einen guten Draht zu ihm. Ist übrigens wirklich ein toller Junge.«
»Ich weiß, aber ich zeig's ihm zu wenig.«
»Das geht uns allen so. Den Besten sagen wir selten, dass sie die Besten sind.«
Inzwischen war Vitus mit Kevin herausgekommen.
»Vitus hat mich eingeladen, am Wochenende zu helfen. Darf ich?«, fragte Kevin.
»Klar, das ist ja toll.« Das Sprechen bereitete Seibold sichtlich Mühe.
»Ich fahr ins Tal. Ich nehme Sie und Kevin mit, wenn's Ihnen recht ist«, sagte Irmi.
Seibold nickte. Die anderen würden oben bleiben. Eine Verabschiedungszeremonie mit zahlreichen Umarmungen begann. Solche Situationen holten aus Menschen eben doch Gutes hervor, das in irgendwelchen Winkeln versteckt war. Irmi und Vitus standen etwas abseits.
Vitus klopfte ihr etwas linkisch auf die Schulter. »Ihr holts den morgen?«
»Ja, die Spurensicherung muss nochmals kommen. Das ist alles ziemlich unschön. Gott sei Dank geht es dem Jungen gut. Danke für deine Hilfe. Wenn du mal einen Job suchst, ich könnt dich als Kollegen gut brauchen.«
Vitus lächelte. »Is recht, meld di halt amoi.«
Irmi konnte nicht anders, sie musste ihn in die Arme nehmen. Er erwiderte ihre Umarmung, sein Bart kitzelte dabei.
Endlich saßen sie im Auto. Langsam steuerte Irmi ihren Wagen talwärts. Als sie
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