Mord im Bergwald
Wochenende. Kann ja mal was dazwischenkommen, oder? Und der Vater wollt dann auch, dass wir nichts unternehmen. Aber der Pius hat doch die Landwirtschaft, und er ist sonst recht zuverlässig.« Peter Fichtl sah besorgt aus.
»Und dann?«
»Dann hab ich gestern, also nach dem Wochenende, in Tirol angerufen. Und wissen Sie was? Er war nie dort, die wussten auch gar nichts davon, dass er kommen wollte.« In der Stimme von Peter Fichtl lag tiefes Unverständnis.
Irmi überlegte kurz, dann griff sie nach der Computerzeichnung und legte sie Peter Fichtl vor.
»Das bin ja ich!«, rief er. Dann schwieg er eine Weile, und Irmi konnte sehen, wie es in seinem Hirn zu rattern begann. »Woher haben Sie das?«, fragte er schließlich leise.
»Herr Fichtl, das ist ein Bild, das erstellt wurde, um das ungefähre Aussehen eines Toten zu rekonstruieren.«
»Wieso mussten Sie das Aussehen rekonstruieren?«
Irmi sah ihn prüfend an. »Herr Fichtl, es tut mir wirklich leid, aber der Tote war ziemlich verunstaltet, vermutlich durch Tierverbiss.«
Peter Fichtl gab einen Laut von sich, der in seiner Kehle erstarb. Irmi stand auf und stellte ihm ein Glas Wasser hin, das er in hektischen Zügen austrank. Als das Glas leer war, sah er Irmi hilfesuchend an. Sie kannte diesen Blick. Es war jedes Mal schwer auszuhalten, wenn Menschen sie so ansahen, als müsse sie gleich sagen: War ein Irrtum, war ein Witz, war ein Test ... Alles wäre besser als der Tod. Aber man spaßte nicht mit dem Tod.
Peter Fichtl wirkte so verletzlich wie ein kleiner Bub. Am liebsten hätte sie ihn in den Arm genommen, aber sie war hier im Werdenfels, wo die Welt noch in Ordnung war. Große Jungs weinten nicht. Emotionen wurden unter den Teppich gekehrt, in dunklen feuchten Kartoffelkellern gelagert, im Bauschutt verborgen.
»Herr Fichtl, woher kommen Sie denn?«, fragte Irmi.
»Mittenwald«, sagte er beinahe tonlos.
»Und Ihr Bruder?«
»Auch. Wir wohnen beide daheim. Pius hat die Landwirtschaft übernommen. Ich bin beim Bund.«
»Bei den Gebirgsjägern?«
»Ja.« Er rang mit den Tränen, Irmi schob ihm Papiertaschentücher über den Tisch und stand auf.
»Ich hol uns mal einen Kaffee.« Als sie die Tür schloss, hörte sie das nun hemmungslose Weinen. Sie ließ sich Zeit, bis sie die Tassen auf den Tisch stellte.
Peter Fichtl hatte sich gefasst. »Sind Sie sicher? Ich meine ...«
Was sollte sie sagen? Abwiegeln? Ihn beruhigen? Nein, das half ja alles nichts. »Herr Fichtl, könnten wir eine DNA-Probe von Ihnen nehmen, um sicher zu sein, dass er es ist?«
Fichtl nickte nur. »Muss der Tote nicht identifiziert werden? Ich meine ...«
So wie die Leiche aussah, wollte Irmi ihm das ersparen. Das Gesicht von Pius Fichtl war furchtbar entstellt. »Das wird nicht nötig sein, wenn wir Ihre DNA haben. Bei Zwillingen ...«
Nun kam sie ins Stocken. Peter Fichtl hatte einen Teil von sich verloren, und dann rührten Irmi diese blauen Augen. Wieso musste der junge Mann nur solche blauen Augen haben?
»Herr Fichtl, Ihr Bruder wurde unterhalb der Fischbachalm gefunden. Haben Sie eine Ahnung, was er da gewollt hat? Wieso er Ihnen erzählt hat, er sei in Tirol?«
»Keine Ahnung.« Peter Fichtl schüttelte den Kopf.
»War er Bergsteiger?«, erkundigte sie sich.
»Ja mei, mir gehn alle in die Berge. Klettern, Bergsteigen, Mountainbike, das ist doch normal. Pius war früher richtig extrem. Er ist sogar mal beim Klettern abgestürzt. Das ist doch nicht wieder passiert, oder?«
»Wir wissen bisher noch nicht, wie er zu Tode gekommen ist.« Irmi sah ihn aufmerksam an.
»Sie meinen aber nicht ...«
»Wie gesagt, Herr Fichtl, ich habe bisher keine weiteren Informationen für Sie. Könnten Sie mir Ihre genaue Adresse geben? Wir werden später vorbeikommen.« Irmi überlegte kurz. »Ihre Eltern, Herr Fichtl. Wollen Sie es ihnen sagen, sollen wir? Brauchen Sie Hilfe?«
Sein Blick wurde noch düsterer. »Der Vater hatte einen Schlaganfall. Er sitzt im Rollstuhl. Vielleicht versteht er es gar nicht. Und die Mama ...« Er schluckte mühsam.
»Soll ich?«, bot Irmi an.
»Nein, ich rede mit der Mama. Aber Sie wollten ja später eh ...«
Es war eine Kommunikation der unvollendeten Sätze. Aber wie sollte man einen Satz auch beenden, wenn der Irrsinn so nah war?
»Ja, Herr Fichtl. Selbstverständlich. Ich komme am Nachmittag zu Ihnen.« Irmi lächelte ihn an und kam sich dabei so armselig vor. »Verraten Sie mir noch das Autokennzeichen und was das für ein Jeep
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