Mord im Bergwald
widmete sich diversem Bürokram.
Erst am frühen Nachmittag tauchte der Hase wieder auf.
»Also, Finger und Ohr gehören zu dem Corpus in der Höhle. Ohne Zweifel.«
»Wie lange ist er tot?«, fragte Irmi.
»Das ist wegen des Tierfraßes und des Zustands der Leiche nicht ganz exakt zu bestimmen.«
»Okay, und weiter? Die Tiere werden ihn kaum getötet haben. Bären sind aktuell keine unterwegs, und Wolfsrudel sind auch keine in Sicht!« Irmi ärgerte sich. Wieso musste sie eigentlich ständig allen ihren Kollegen die Wortwürmer aus der Nase ziehen? Als ob das nicht alles schon mühsam genug wäre.
»So weit sind die noch nicht. Wie gesagt, der Typ ist etwas zerfleddert. Aber ich hab noch was.« Mit einer schmissigen Handbewegung förderte ihr Kollege einen Computerausdruck zu Tage. Er schien ein Ah und Oh zu erwarten. »Sie haben ein Phantombild angefertigt, so in etwa hätte der Mann ausgesehen.«
»Toll«, sagte Irmi lahm.
Der Hase warf ihr einen strafenden Blick zu und ging.
Irmi starrte das Bild an. Der Mann war etwa Mitte zwanzig, hatte ein attraktives Gesicht. Er war sicher gut gebaut gewesen, durchtrainiert. Doch ein Bergsteiger? Er wirkte so gesund bis auf die Tatsache, dass er tot war.
Irmi überlegte, ob sie das Bild an die Zeitung oder gar ans Fernsehen geben sollte. Sie zögerte, irgendwas hielt sie momentan davon ab. Der Mann kam ihr irgendwie bekannt vor, aber sie konnte ihr Hirn noch so sehr zermartern, es stellte sich keine Idee ein. Sie beugte sich wieder über die Vermisstenlisten. Ein Mann in den Zwanzigern war definitiv nicht dabei.
Sailer kam ins Zimmer und wollte für die Abschiedsparty eines Kollegen, der in Rente ging, sammeln. Andrea reichte ihm zehn Euro, Irmi zwanzig. Sailer nickte ihr freudig zu.
»Ach, Sailer, kennen Sie den zufällig?«, fragte Irmi und hielt ihm das Bild unter die Nase. Sailer kannte nämlich so ziemlich das gesamte Werdenfels und hatte Anverwandte hier und in den umliegenden Landkreisen.
»Hot er so ausg'schaugt? I moan, der Ogfressne?«, fragte Sailer.
»In etwa. Und?«
»Was, und?«
»Ja, kennen Sie ihn?«
»Naa, sonst hätt i Eana des ja g'sagt, Frau Irmgard.«
»Ja, danke, Sailer.«
Irmi holte sich einen Kaffee und beugte sich wieder über die Vermisstenlisten, als Sailer schon wieder hereingestolpert kam. Diesmal war er kreidebleich.
»Frau Irmgard, des glauben S' jetzt eh ned, aber do is a Gespenst ...« Seine Stimme überschlug sich, und er bediente sich der Sailerschen Schnappatmung, die die Konversation mit ihm so schwierig machte. Sailer konnte keine längeren Sätze sprechen, schon gar nicht, wenn er dermaßen erregt war.
»Sailer! Ganz gschmach! Was ist los?«
Sailer schnappte erneut nach Luft und faselte etwas von einem Gespenst, das auf dem Gang stehe, der Rest ging wieder unter.
Irmi trat auf den Gang hinaus, wo ein junger Mann sie erwartungsvoll ansah. Nun blieb auch Irmi kurz die Luft weg. Sie versuchte sich unter Kontrolle zu bringen.
»Ja bitte?«
»Ich wollte was melden, aber Ihr Kollege scheint etwas wirr im Schädel. Er hat mich hier auf den Gang gezerrt und ist dann zu Ihnen«, sagte der junge Mann.
»Herr ...?«
»Fichtl. Fichtl, Peter.«
»Herr Fichtl, kommen Sie doch bitte rein«, sagte Irmi und hoffte, dass ihre Stimme einigermaßen normal klang. Und an Sailer gewandt: »Danke, Sailer, ich mach das schon.«
Sailer japste auf und verließ den Raum, als würde er gejagt.
Peter Fichtl sah ihm mit gerunzelter Stirn nach.
»Herr Fichtl, Sie wollten etwas melden, sagten Sie eben?« Irmi hatte es irgendwie geschafft, den dicken Klops im Hals hinunterzuwürgen.
»Ja, und zwar wollte ich meinen Bruder als vermisst melden.«
»Ihren Bruder?«
»Ja, der heißt Pius. Genau genommen ist das mein Zwillingsbruder. Sieht aus wie ich.«
Allerdings, das tat er. Irmi riss sich zusammen. »Herr Fichtl, seit wann ist Ihr Bruder denn weg?«
»Na ja, er wollte nach Serfaus in Tirol zum Darrehof und dort Haflinger kaufen. Wir züchten ein bisschen. Er hat meinen Jeep genommen und unseren Viehwagen. Eigentlich wollte er nur zwei Nächte wegbleiben und am dritten Tag mittags wieder da sein. Er war aber abends immer noch nicht da, und an sein Handy ist er auch nicht drangegangen.«
»Wann genau ist er denn verschwunden?«
»Vor einer Woche.«
»Wie, heute ist Dienstag, und er ist schon eine Woche weg? Seit Dienstag letzter Woche? Und Sie haben nichts unternommen?«
»Na ja, er wurde Freitag zurückerwartet, und dann war
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