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Mord im Bergwald

Mord im Bergwald

Titel: Mord im Bergwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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sie sich auskannte, und das tat ihr gut. »Na ja, wir haben auch zwei.«
    »Zwei was?«
    »Zwei Deckhengste. Kohlfüchse allerdings. Mein Vater hat's nicht so mit den Modetrends. Aber ich kann euch eins sagen: Wer zum Diepold geht, der ist ein gescheiter Züchter, und er seinerseits würde nie irgendein Warmblut oder einen Friesen decken.« Ein Oberländer mit einem Friesen – solche Mischehen funktionierten offenbar auch im Tierreich nicht. Andrea fuhr fort: »Und schon gar nicht im August. Da geht der Hengst längst schon wieder vor der Kutsche.«
    Irmi hatte den Eindruck, als spräche jemand in einer fremden Sprache zu ihr.
    »In der Deckzeit hat der Hengst im Geschirr nix verloren. In der Deckzeit zählt der Sicherheitsgedanke. Unsere Hengste sind da in der Box und auf dem Paddock am Haus, auch nicht auf der Weide«, erklärte Andrea.
    »Okay«, sagte Irmi nach einer Weile. »Fassen wir zusammen: Ein professioneller Hengsthalter und ein Profizüchter decken um diese Jahreszeit nicht mehr. Diepold hat gelogen, und zwar ziemlich dreist.« Dann fiel ihr noch was ein. »Kennt der Sie denn nicht, Andrea? Ich meine, kennt man sich nicht generell in der Kaltblutszene?«
    »Er kennt meinen Vater. Mich zwar auch, aber nur flüchtig. Und dann hat er mich in der Uniform sicher nicht erkannt.«
    Irmi überlegte. Sie hatte Diepold nur zwei oder drei Mal bei Bernhard gesehen. Soweit sie sich erinnerte, stammte seine Frau aus dem Saarland, hatte mit Bauernhof weniger am Hut und arbeitete immer noch als Model für Versandhauskataloge. Wie die beiden aneinandergeraten waren, entzog sich ihrer Kenntnis. Diepold war als Jugendlicher wohl ein ziemlicher Raufbold gewesen und dann ein Frauenheld. Seitdem er diese Saarländerin kannte, war er wie verwandelt. Nadine, genau, so hieß sie, war sehr sympathisch gewesen. Schön und sympathisch, eine seltene Kombination. Irmi erinnerte sich, dass sie mit Bernhard später am Abend noch über die plötzliche Wandlung des Franz D. gesprochen und noch herumgestichelt hatte, dass er sich doch ebenfalls eine Frau aus dem Saarland suchen solle, damit auch aus ihm noch ein Mensch werde.
    »Gut, dann werden wir uns morgen den Herrn Diepold mal genauer ansehen. Danke, Andrea, das war sehr aufschlussreich. Ach – und noch was: Können Sie mir morgen mal einige Infos über Bernd Orlowski beschaffen, während wir bei Diepold sind?«
    Andrea nickte und wirkte deutlich entspannter als zuvor.
    »Gute Nacht dann«, sagte Irmi in die Runde. Zu Kathi meinte sie: »Wir treffen uns um acht in Grainau, direkt am Hof. Der liegt ja in deiner Einfallschneise. Den Diepold knöpfen wir uns zuerst vor, und dann soll der Alpenretter Orlowski mal plaudern.«
    Kathi nickte nur und war schnell weg. Irmi hatte registriert, dass Kathi immer wieder auf ihr Handy gesehen hatte und nicht bei der Sache gewesen war. So ging das nicht weiter. Sie musste mit Kathi reden. Auch wegen der Ohrfeige. Sie würde das morgen tun – oder übermorgen ...
    Als sie zu Hause ankam, war Bernhard nicht da. Das war gut so, dachte sie und fragte sich zugleich, wohin eigentlich ihr Leben lief, dass sie sich mehr und mehr freute, Menschen nicht zu treffen? Ihren Bruder nicht, ihre Kollegin nicht. Weil sie Angst hatte vor der Konfrontation. Oder anders: sie war zu müde für die Konfrontation.
    Heute hätte sie ihn gebraucht. Seine ruhige Souveränität. Sie hätte einfach nur auf der Hausbank liegen wollen, den Kopf auf seinem Schoß, und in die Sterne sehen. Aber sie war schon wieder wie gelähmt. War sie an dem Punkt der Resignation angelangt? War es nicht immer so: Auf den Schmerz folgte die Wut, dann neuer Schmerz und schließlich die Resignation. Das war der gefährlichste Punkt. Resignation bedeutete Zurückziehen in sich selbst, Aufgabe eines eigentlich großen Projekts: die echte Beziehung.
    Plötzlich fühlte sie sich mutlos. Er hatte nie anders gekonnt: die Frau, die Kinder, die Arbeit. Die Bürde der Zuverlässigen. Kein Ausbruch in unbekannte Gefilde, weil zu viele andere leiden würden. So litt nur sie – unter der Einsamkeit, der Leere. Und er – unter seiner Feigheit und dieser Sehnsucht nach einem Leben, das besser hätte sein können.

11
    Schon um acht war Irmi in Grainau. Kathi war nicht da. Ihr Handy war aus. Verdammt!
    Diepolds Hof war eine wahre Augenweide. Irmi fragte sich, wie es gelang, die Balkonblumen zu solcher Pracht anzustacheln. Geranien, Petunien, Begonien sprossen aus den Kästen. Am Eingang rankten Rosen,

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