Mord im Bergwald
Touristenabschreckungsprogramm, eine perfide Rache an den Deutschen.
Wenig später traten drei Männer ein, der Bataillonschef mit seiner Entourage, die vor Ehrfurcht schier zu versinken drohte und sich dann auch wieder verabschiedete.
Der Mann stellte sich als Oberst Grau vor. Er erinnerte Irmi an ihren Lateinlehrer – auch ein eher unscheinbarer Typ, der aber ohne jede Mühe eine solche Autorität ausgestrahlt hatte, dass sie alle mit gesenkten Köpfen dagesessen waren und gehofft hatten, nicht aufgerufen zu werden. Gaius et Julius ambulant. Anfangs waren sie spazieren gegangen in den Lateinbüchern, später hatten sie nur noch gekämpft und Städte mit Mauern umgeben. Irmi erinnerte sich, dass sie in einer Schulaufgabe die Stadt einmal mit Mäusen statt mit Mauern umgeben hatte. Die ganze Klasse hatte sie ausgelacht, aber der Lehrer hatte die Mitschüler gestoppt. »Nur wer hier fehlerfrei geblieben ist, darf lachen«, hatte er gedonnert. Ob Oberst Grau auch so ein Mann war? Unbeugsam, aber gerecht?
»Mir wurde berichtet, dass Sie den Hauptgefreiten Fichtl sprechen wollten«, sagte Grau mit angenehmer Stimme. Ein leichter fränkischer Einschlag klang bei ihm durch. Auch das war typisch für die Soldatenwelt in Mittenwald. In Media silvae (schon komisch, wie lateinische Ausdrücke und Sätze plötzlich wieder auf ihr Gehirn einströmten) gab es unter den Soldatenfamilien viele Franken.
»Ja, das stimmt. Wir müssten Peter Fichtl als Zeugen befragen.«
»Von Mord war die Rede.«
Oberst Grau war gut informiert, er klang aber nach wie vor völlig neutral.
»Pius Fichtl, der Zwillingsbruder von Peter Fichtl, ist ums Leben gekommen. Gewaltsam. Bei unseren Ermittlungen sind wir auf das hier gestoßen.« Irmi legte fünf Fotos von der Outdoorjacke und dem GPS auf den Tisch. »Kennen Sie diese Gegenstände?«
Irmi registrierte für Sekundenbruchteile ein Flackern in seinen Augen. Er betrachtete die Fotos sorgfältig.
»Das sieht aus wie Material der Bundeswehr«, sagte er schließlich. Er war klug und auf der Hut. Natürlich stritt er nicht ab, dass diese Sachen Bundeswehreigentum waren, das wäre auch töricht gewesen, doch er war ein Schachspieler und war sicherlich in der Lage, seine Züge weit im Voraus zu planen.
»Nichts weiter?« Irmi schob lediglich einen Bauern vor.
»Woher haben Sie die Fotos?«, fragte Grau.
»Diese Sachen wurden in der Nähe des toten Pius Fichtl gefunden. Und genau dazu wollten wir die Meinung von Peter Fichtl hören.«
In dem Moment beschloss Irmi, vorerst nichts von dem Depot, nichts von dem kleinen Outdoorladen im Stadel zu sagen. Sie hoffte, dass Kathi ihr da keinen Strich durch die Rechnung machen würde.
Grau betrachtete nochmals die Fotos und blickte dann die beiden Polizistinnen prüfend an. Kathi hatte anscheinend kein Lateinlehrertrauma, sie war völlig unbeeindruckt.
»Ich muss Ihnen doch nicht sagen, dass das hier Prototypen sind. Wir haben eine Expertise von Dr. Fritz Rainer aus Innsbruck.« Kathi legte das Schriftstück auf den Tisch.
Auch das prüfte er sorgfältig. »Herr Doktor Rainer ist zweifelsfrei eine Autorität auf seinem Gebiet. Ich zweifle seine Ergebnisse nicht an.«
»Herr Grau!« Kathi war wohl auch sein Dienstgrad völlig wurscht. »Die Frage lautet: Stammt das Zeug aus Ihrer Kaserne, und was hat Pius Fichtl damit zu tun? Gehörten diese Sachen ihm?«
»Sehr verehrte Damen.« Er machte eine kurze Pause. »Ich sehe keine Versorgungsnummer. Ich habe keine Ahnung, woher diese Fotos letztlich stammen, ich müsste schon das Originalstück sehen, um da eine Zugehörigkeit festzustellen.« Er war nach wie vor völlig emotionslos.
»Herr Grau, Sie wollen doch wohl nicht behaupten, dass Sie diese Dinge nicht kennen, oder?« Kathis Stimme bebte.
»Ich will gar nichts behaupten. Ich wiederhole mich ungern. Legen Sie mir das Stück vor, dann sehe ich es mir gerne an.« Er hatte sich erhoben. »Frau Reindl, Frau Mangold. Ich veranlasse, dass Sie jemand hinausgeleitet.«
Er verließ den Raum, ohne sich umzusehen. Sofort tauchten zwei andere junge Männer auf. »Wenn Sie dann mitkommen möchten!«
»Ich möchte ...« Kathi wollte gerade zu einer Tirade anheben, doch Irmi stoppte sie mit einem Blick.
»Danke, sehr freundlich«, sagte sie. »Nur an Ihrem Kaffee sollten Sie noch arbeiten.«
Dem einen der beiden jungen Männer entfuhr ein kurzes Lachen, er hatte sich aber sofort wieder im Griff. Schweigend gingen sie hinaus. Irmi und Kathi wurden bis kurz
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