Mord im Dirnenhaus
Straße bläst. Ich kümmere mich um Mira.»
Mit einem «Jawohl, Herrin» eilte Franziska davon, und Adelina machte sich auf den Weg zu Miras Kammer. Ohne anzuklopfen stieß sie die Tür auf und fand das Mädchen kniend vor einem kleinen, anscheinend zusammenklappbaren Marienaltar mit Triptychon. Mira ließ einen weißen Rosenkranz durch ihre Finger gleiten und murmelte halblaut ein Ave Maria nach dem anderen. Adelina sah ihr ein Weilchen dabei zu, dann trat sie näher und fasste sie an der Schulter. «Mira, es ist gut. Steh auf und geh an deine Arbeit.»
Mira regte sich kaum. «Ave Maria voll der Gnade … geht jetzt nicht … der Herr ist mit dir … muss den Rosenkranz fertig beten … du bist …»
«Mira!» Erbost packte Adelina Miras Handgelenk und entwand ihr den Rosenkranz. «Ich habe dir gesagt, du sollst wieder an deine Arbeit gehen!»
Mira blickte verdutzt zu ihr auf, dann zog sie einen Flunsch. «Ich muss erst noch meine Gebete beenden. Ein Unwetter kommt auf uns zu. Die Heilige Jungfrau soll uns beschützen.»
«Das wird sie auch, wenn du deine Arbeit tust. Ich sehe es nicht gerne, dass du einfach deine Aufgaben auf Griet abschiebst.»
«Sie hat doch freiwillig …»
«Geh jetzt an deine Arbeit. Ich dulde dieses Verhalten nicht, verstanden?» Adelinas aufgebrachte Stimme wurde eine Spur lauter, doch Mira wankte nicht.
«Aber meine Gebete; das ist wichtig! Die Zisterzienserinnen beten auch …»
«Du bist aber keine Zisterzienserin», unterbrachAdelina sie und stemmte die Hände in die Hüften. «Du bist Lehrmädchen in meinem Haus und hast meinen Anweisungen Folge zu leisten.»
«Aber die Nonnen …»
«Müssen auch gehorchen, wenn die Äbtissin etwas anordnet», kam Neklas’ Stimme von der Tür. Adelina und Mira fuhren erschrocken zu ihm herum. Er lehnte im Türrahmen, die Arme vor der Brust verschränkt. Auf seinen Lippen spielte noch ein leichtes Lächeln, das jedoch sogleich einer strengen Miene wich. «Geh an deine Arbeit, Mira.»
Das Mädchen blickte einen Moment lang unschlüssig zwischen Adelina und Neklas hin und her, dann ließ sie die Schultern hängen und quetschte sich an ihm vorbei in Richtung Küche.
«Da haben wir ja einen schönen Fang gemacht», sagte Neklas und lehnte sich erneut gegen den Türstock. Adelina legte den Rosenkranz neben den kleinen Altar. «Ich wäre schon mit ihr fertig geworden.»
«Das weiß ich.» Wieder schlich sich ein kleines Lächeln in sein Gesicht. «Aber so ging es schneller.»
Sie musterte ihn und sah, dass sein Gesicht grau vor Müdigkeit war. Unter seinen Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet. Bei seinem Anblick fiel es ihr schwer, an ihrem Zorn vom Vortag festzuhalten.
«Geh in die Küche, es gibt gleich etwas zu essen.»
Als er den Kopf schüttelte, runzelte sie jedoch wieder die Stirn.
«Nicht jetzt. Ich muss noch etwas erledigen und dann möchte ich erst einmal schlafen, wenn es dir recht ist. Ich habe zwei anstrengende Tage hinter mir.»
«Nein, es ist mir nicht recht», fuhr sie auf. «Wir müssen miteinander reden.»
«Später», winkte er ab, und dieses Wort trieb sie fast zur Weißglut. Doch er beachtete ihre finstere Miene nicht, sondern stieß sich vom Türrahmen ab und ging schon wieder zur Kellertreppe.
«Dann geh doch und mach, was du willst. Lass mich mit allem allein, ich komme schon zurecht», fauchte sie und schluckte dabei an einem harten Kloß, der ihr wie ein kleiner Feuerball in den Magen rutschte.
Neklas blieb auf der obersten Stufe stehen und blickte sie über die Schulter hinweg an. In seinen Augen las sie eine Mischung aus Zerknirschung und unerbittlicher Entschlossenheit. «Wir reden später, Adelina. Ich verspreche es dir.»
Sie atmete heftig aus, als er die nächsten Stufen hinabstieg.
«Und was sage ich derweil Bruder Thomasius, wenn er wieder auftaucht?»
Neklas fuhr herum und starrte sie erschrocken an. «War er hier? Im Haus?» An ihrem Blick konnte er die Antwort ablesen. Mit einem heftigen Fluch kam er die Stufen wieder herauf. «Warum hast du ihn hereingelassen? Ich habe doch gesagt …»
«Er ist durch die Hintertür gekommen», unterbrach sie ihn. Ihre Stimme kippte vor Wut fast über. Neklas fasste sie am Handgelenk und knirschte mit den Zähnen. «War er im Keller?»
Verblüfft hielt sie inne. «Warum sollte er? Er kam in die Küche und hat uns …»
«Bist du sicher, dass er nur in der Küche war?»
Adelina starrte ihn an. «Ich nehme es an. Woher soll ich das wissen, wo er sich doch
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